Lügen haben lange Beine Italien, Hochmittelalter. Friedrich Barbarossa bemüht sich vergeblich die italienischen Städte zu befrieden, die untereinander viel zu verfeindet sind, um je eindeutige Ligen zu bilden. Der einfache Baudolino (schon der Name ist erfunden), der aus einer dieser aufständischen Städte, Alessandria, kommt, fälscht und erfindet für den Kaiser, was nicht erwiesen, aber für den Machtanspruch des Kaisers und das Reich brauchbar scheint. So entstehen sog. historische Dokumente. So entsteht auch die Vision von einem christlichen Reich, das beinahe dem Paradies gleichkommt. Den Brief des Presbyters Johannes, eine Fälschung, die die mittelalterliche Welt bewegte, lässt Eco von nicht ganz nüchternen jungen Männern schreiben. Auch indirekt wirkt sich Baudolinos Tun auf die schriftlichen Hinterlassenschaften aus: so beginnt Eco den Roman mit einem überschriebenen Pergament. Baudolino hat die Chronik Otto von Freisings abgeschabt, um seine Memoiren verfassen zu können. Weswegen der Bischof seine Chronik neu und anderes geschrieben hat. Die Einsicht Baudolinos als Pointe: also hätte, wenn Baudolino die erste Chronica nicht überschrieben hätte, Friedrich am Ende gar nicht all das getan, was wir als seine Taten rühmen. So entsteht Geschichte. Und das ist auch ein Hauptthema in Ecos neuem Roman. Lügen schaffen Wirklichkeit. So erfahren die Leser des Romans Kapitel um Kapitel wie Niketas -Kanzler des Kaisers von Byzanz und Geschichtsschreiber, dem der alte Baudolino sein Leben erzählt - Geschichten, denen sie nicht recht glauben mögen - falls sie am Anfang aufgepasst und nicht überhört haben, was Baudolinos Schwäche (resp. Stärke)ist: er selbst weiß nicht (mehr), was wahr ist und was nicht, oder - um sein eigenes Bekenntnis zu zitieren: "Kyrios Niketas, das Problem meines Lebens ist, dass ich nie klar und deutlich getrennt habe zwischen dem, was ich wirklich sah, und dem, was ich sehen wollte ..." Ein Erzählwerk, das atemlos von einem Schauplatz zum nächsten eilt, von einer theologischen, soteriologischen, christologischen Disputation zur nächsten, 597 Seiten lang. In der Historie wenig Bewanderte werden bald aussteigen beim Versuch zu erkennen, was bezeugt und was echt Eco ist. Aber das macht nichts, das soll ja auch so sein. Lesende tun als ob. Wie Schriftsteller. Oder Geschichtsschreiber. Ein Erzählvergnügen, auf das man sich gerne einlässt, so man einen langen Leseatem und genug Zeit hat, und bei dem man neben Friedrich Barbarossa auch viele andere Bekannte wiedertrifft aus Kirche undPolitik. Zum Schmunzeln gibt es auf jeden Fall auch bei diesen Begegnungen genug. Brigitte Schwens-Harrant *Sz* 4/2001
Personen: Eco, Umberto
Standort: Bücherei
Eco, Umberto:
Baudolino : Roman / Umberto Eco. - Dt.-Ausg. - München : Hanser, 2001. - 597 S. - Aus dem Ital. von Burkhart Kroeber
ISBN 978-3-446-20048-7 fest geb. : 24,90
Schöne Literatur - Signatur: Eco - Buch