Ein rätselhafter Roman als ästhetisches Verwirrspiel mit Fakten, Fiktionen und Mystifikationen. (DR) Von Verlagsseite heißt es pompös, dieses Buch biete eine universelle Geschichte, die einen weiten Horizont öffnet. Es beschäftigt sich mit uralten Mythen der Menschheit bis hin zu den großen Fragen der Gegenwart - entdeckt von Michael Köhlmeier und übersetzt von Raoul Schrott. Beide Testimonials sind ausgewiesene Könner in ihren Fachgebieten, keine Frage. Schon am Anfang der Lektüre kommen Zweifel auf, ist es doch zunehmend schwierig, im Verlauf von knapp 400 Seiten zwischen Fakten, literarischer Fiktion und inhaltlichem Brimborium zu unterscheiden. Erzählt werden - abwechselnd in unterschiedlichen Schriftarten - zwei parallele Geschichtsstränge: Einmal die Abenteuer des kanadischen Orientalisten David Ostrich, der am Persischen Golf über sumerische Genesis-Mythen auf Tontafeln forscht. Der mächtige Leiter Thaut beauftragt ihn unmissverständlich, seine verschollene Zieh-Tochter bzw. Kindfrau Evita zu suchen. Ostrich befragt auftragsgemäß die zwielichtigen Bewohner der Hafenstadt, ist fasziniert und erotisiert von Lili, der Ehefrau Thauts, und erfährt bald von einem Geheimnis, das den autoritären, durch Wanderbewegungen bedrohten Wüstenstaat zusammenhält. Parallel dazu wird, in chronologisch ablaufenden Episoden, die Geschichte von Atam erzählt. Er stammt aus dem Ararat-Gebirge, das durch alttestamentliche Erzählungen von der Sintflut, Noahs Schiff und der weißen Taube bis heute bekannt ist. Atam ist als Offizier Teil des herrschenden Gewaltsystems, er verabscheut dessen Gifteinsatz auf Flüchtlinge und trifft schließlich in einem Arbeitslager auf Ostrich. Diese parallel laufenden Aufzeichnungen von den Ereignissen, in die Atam involviert ist und den Ich-Erzähler Ostrich betreffen, enden mit abschließenden Notizen, von denen dieser zusammenfassend behauptet: "Dies ist keine Geschichte, sondern die Geschichte. Kein Buch, sondern meine Wahrheit. Eine Kladde. Das andere als Schmierheft bezeichnen werden." Der Anhang bietet eine von Michael Köhlmeier verfasste persönliche Beschreibung von Martin Schneitewind, dem Autor des Romans, dessen Urheberschaft mehr als fragwürdig ist. Es folgen dann editorische Notizen zum handschriftlichen Typoskript, das Raoul Schrott angeblich aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte. Ein Roman, der - auch nach den Worten Köhlmeiers - anziehend und abstoßend zugleich ist, immer unberechenbar. Man weiß nie, woran man ist." Da fragt man sich als aufmerksame Leserin und Rezensentin schon, ob diese Geschichte nicht doch mit Nestroys Worten zu beurteilen ist: "Es ist doch alles Chimäre, aber mich - Schneitewind / Köhlmeier / Schrott / etc.- unterhalt's!?"
Personen: Köhlmeier, Michael Schneitewind, Martin Schrott, Raoul
Schneitewind, Martin:
An den Mauern des Paradieses : Roman / Martin Schneitewind. Aus dem Franz. von Raoul Schrott. Mit einem Nachw. von Michael Köhlmeier. - Orig.-Ausg. - München : dtv, 2019. - 394 S.
ISBN 978-3-423-28187-4 fest geb. : ca. € 24,70
Schöne Literatur - Signatur: Schne - Buch