Bereits in „Der Junge im gestreiften Pyjama“ hat der irische Autor John Boyle sich intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt und durch die Augen des Jungen Bruno das unvorstellbare und unbegreifliche Verbrechen der Shoa tief spürbar gemacht. In seinem aktuellen Buch „Der Junge auf dem Berg“ setzt er die Auseinandersetzung fort. Wieder stellt er ein Kind ins Zentrum, den siebenjährigen Deutsch-Franzosen Pierrot. Nach dem Tod seiner Eltern muss er die Heimatstadt Paris verlassen, um fortan bei seiner deutschen Tante Beatrix zu leben. Sie arbeitet als Hauswirtschafterin in Adolf Hitlers berühmtem Berghof im oberbayerischen Berchtesgaden. Dort, in einem der Zentren der faschistischen Macht, wird er intensiv und durch den Diktator persönlich mit dem unmenschlichen nationalsozialistischen Herrenmenschdenken konfrontiert. Auch er blickt, wie Bruno, mit kindlicher Naivität auf diese Welt, aber bei ihm führt sie dazu, dass er das Denken der Nazis unkritisch verinnerlicht. Zunehmend, Boyle beschreibt insgesamt neun Jahre Pierrots auf dem Berghof, breitet es sich in ihm aus. Es wird nicht hinterfragt, auch weil es subtil auf dem Vehikel der persönlichen Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung des „Führers“ fährt, an dem es Pierrot sonst so offenbar mangelt. Diese Verinnerlichung und blinde Hörigkeit drückt sich unter anderem aus im Leugnen seines jüdischen, besten Freundes Anshel und erreicht ihren schauerlichen Höhepunkt, als Pierrot Beatrix und ihren Freund als potenzielle Hitler-Attentäter entlarvt und beide den Tötungsversuch mit ihrem Leben bezahlen müssen. So groß ist die Hörigkeit – und vielleicht ein wenig zu schwach gezeichnet das Vertrauen der Tante zu ihrem Neffen, das ihn möglicherweise hätte bewahren können –, dass selbst dieses Ereignis Pierrot nicht verstehen lässt. Am Ende dieses Buches, das mit dem Ende des Kriegs und des Dritten Reichs zusammenfällt, lässt Boyle seinen Protagonisten und die LeserInnen mit diesem Verlust der Menschlichkeit zum Glück nicht allein. Vielmehr zeigt er, dass Pierrots verloren geglaubtes Herz keineswegs verloren ist. Er lässt ihn seinen alten Freund Anshel finden und sich seiner dunklen Geschichte stellen … weil dies der einzige Weg ist.
Personen: Boyne, John
Boyne, John:
Der Junge auf dem Berg : Roman / John Boyne. Aus dem Engl. von Ilse Layer. - 2. Aufl. - Frankfurt a. M. : Fischer, 2017. - 301 S.
ISBN 978-3-7373-4062-5 fest geb. : Eur 16,99
Belletristik - Signatur: SL Boyne - Buch