Ist James Meek etwa ein Widergänger der großen russischen Dichter des 19. Jahrhunderts? In dem Briten scheint jedenfalls eine zutiefst verwandte Seele zu schlummern, hat er doch das Unglaubliche geschafft, einen so seelenvollen wie mystischen Roman ganz im Stile eines russischen Klassikers aus sich hervorzuholen. In zauberischem Ton entführt Meeks uns in das merkwürdige Dörfchen Jasyk, irgendwo zwischen Omsk und Irkutsk, verloren in den Weiten der sibirischen Tundra. Hierher hat es die schöne Anna Petrowna auf der Suche nach ihrem im Ersten Weltkrieg verschollenen Gatten verschlagen. Und hier taucht im Jahr 1919, kurz nach den Revolutionswirren, der entflohene Sträfling Kyrill Iwanowitsch Samarin auf. Unversehens wird Jaryk zur reinsten russischen Seelenlandschaft. Meek produziert starke Bilder. Grausam, die Eingangsszene, in der der fliehende Samarin aus seinem Versteck heraus mitansehen muss, wie aus einem über eine Brücke brausenden Güterzug ein Soldat mitsamt mehreren Pferden in den tief darunterliegenden Fluss stürzt. Auch die Charakterzeichnungen der dörflichen Gemeinschaft zeugen von großer Poesie und Lebenskraft. So jene des Leutnants Josef Mutz, der mit seiner tchechischen Legion im russischen Bürgerkrieg in die sibirische Einöde verschlagen wurde. Mutz, den einst eine heftige Affäre mit Anna verband, die er noch immer liebt, muss bald eine erschütternde Feststellung machen. Annas verschollener Mann lebt in Jaryk. In erheblich modulierter Version allerdings! Schamanismus, Aufopferung, Liebe, Gottesfürchtigkeit. Und an jeder Ecke lauert der Wahnsinn, wie die (historisch verbürgte) Sekte der Skopzen beweist, allesamt Kastraten, die sich freiwillig entmannen ließen, um einem höheren Reinheitsgebot Folge zu leisten. Jaryk ist voll von solch selbsternannten Engeln, die sich, so auch Annas Gatte, dem Paradies nahe wähnen. Es kommt, wie es kommen muss. Als Samarin und die entmannte Witwe einander nahekommen, brechen sich höchst irdische und längst verschüttete Gefühle endlich Bahn. Die russische Dramenbühn
Personen: Meek, James Übers. v. Nölle-Fischer, Karen /Krutzsch, Malte
Meek, James:
¬Die¬ einsamen Schrecken der Liebe / James Meek. - München : Knaur, 2007. - 429 S.
ISBN 978-3-426-63473-8 8,95 EUR
R 11 - Signatur: R 11 - Schöne Literatur