An diesem Nachmittag beschlossen wir eine Band zu gründen, Simon und ich. Natürlich kam nur HipHop in Frage, was sonst. Simon dachte sich die Rhymes aus, er konnte besser rappen als ich, jedenfalls am Anfang, und er machte perfekt Beat Box. Ich war fürs Mixen zuständig und für die Scratches. Tame Birds sollte unsere Band heißen. Denn Tame Birds hieß der Song, den Simon gemacht hat, bevor er das erste Mal bei unserer Gang auftauchte. Zahme Vögel singen von der Freiheit. Wilde Vögel fliegen. Ein vielschichtiger und authentisch erzählter Roman, in dem es um Musik, Freundschaft, Nächstenliebe, Verantwortung und den Wunsch nach Freiheit geht. LESEPROBE: Wir nahmen die Abkürzung durch das Wäldchen. Der Trampelpfad war moddrig und voller Pfützen, und Simon musste seine Socken ausziehen, weil er Sandalen anhatte. Als wir die Geräusche hörten, blieben wir stehen und horchten. Zuerst lachten wir und machten die üblichen blöden Bemerkungen. In den Büschen am Bahndamm verkrochen sich öfter Pärchen, die sonst nirgends hin konnten. Vor allem Ausländer aus dem Silo mit ihren Freundinnen. Konrad war mächtig hinterher, vor allem achtete er drauf, dass farbige Männer keine weißen Frauen mit ins Silo nahmen. Scheuni sagte, dass er sich was Besseres vorstellen könnte, als bei diesem miesen Wetter im nassen Gras rumzuliegen. Da drang grölendes Gelächter von mehreren Männern aus den Büschen und dann so ein ersticktes Ächzen. Das klang nicht wie ein Liebespaar. Chuck zischte: 'Mann, das is 'n Überfall!' Gecko griff in die Büsche und zerrte die Zweige auseinander. Vier Typen machten sich an 'ner Frau zu schaffen. Sie hielten die Frau auf dem Boden fest. Die Frau hatte lange rote Haare. Die Frau war meine Mutter. Ich schrie, und wir hasteten hin. Die Typen lachten und waren schon weg. Wir hörten ihre Mopeds abfahren. Mom kniete sich hin und stand auf. Mein Herz schlug wie 'ne Dampframme. Ich fasste nach Moms Hand, aber sie schüttelte mich ab und strich bloß immer an ihren Sachen rum. Sie war total mit Schlamm beschmiert, die Jeans, die Haare, das Gesicht, aber verletzt war sie nicht. Nur ihre Bluse war zerrissen. Und die Skizzenmappe war hin. Scheuni klaubte die Zeichnungen aus dem Modder. Nur noch dreckige, nasse Lappen. Gecko wickelte Mom in seine Jacke, und Simon gab ihr sein Basecap, aber sie sah trotzdem furchtbar aus. 'Was wollten die?', fragte Scheuni entsetzt. Chuck sagte: 'Na was schon.' Simon meinte, wir müssten die Polizei holen. Ich sagte gar nichts. Ich zitterte. Maria Seidemann wurde 1944 auf einem Güterbahnhof in Engelsdorf bei Leipzig geboren, lebte vier Jahrzehnte in Potsdam und ist am 7. September 2010 verstorben. Sie war Historikerin und Archivarin, studierte außerdem am Leipziger Literaturinstitut und an der Potsdamer Filmhochschule. Seit 1974 arbeitete sie als freie Autorin und schrieb Romane, Erzählungen, Drehbücher, Hörspiele, Lyrik, Kinderbücher... Ihre Bücher geben besser über sie Auskunft, als diese mageren Zeilen. Auszeichnungen (Auswahl): 1982 Debütpreis des Schriftstellerverbandes der DDR 1986 Theodor-Fontane-Preis 1987 Alex-Wedding-Preis der Akademie der Künste 1988 Internationaler Hörspielpreis Terre des Hommes 1991 Buxtehuder Bulle 1998 Ehm-Welk-Literaturpreis 1992 Stipendium der Stiftung Preußische Seehandlung 1996 und 1999 Stipendium des Kultusministeriums Brandenburg 2002 Stipendium des Sächsischen Staatsministeriums
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Weiterführende Informationen
Personen: Seidemann, Maria
Seidemann, Maria:
Big City Rap : EDITION digital Verlag, 2012. - 74 S.
ISBN 978-3-86394-796-5
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