Paul Lendvai : Begegnungen zwischen Moskau, New York und Gunskirchen. (GP) Getragene Sprache, klare Argumentation, kompakte Sachinformation - und all das unterlegt mit charmant-ungarischen Klangfarben: Für an Politik und Geschichte interessierte ÖsterreicherInnen ist Paul Lendvai längst eine Art intellektueller Institution, die sich den kritischen Blick hinter den 'Medienvorhang der Klischees“ bewahrt hat. Bereits 2006 mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, wurde ihm erst kürzlich - am 6. November 2008 - der Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln verliehen. Nahezu zeitgleich ist sein neuestes Buch erschienen, sein vierzehntes. Erfolge eines kritischen Journalisten In Buchhandlungen und Bibliotheken gehört Lendvai längst zum Fixbestand. Sein 2007 erschienener Band 'Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht“ erreichte allein im ersten Halbjahr eine Zahl von 33.000 verkauften Exemplaren und wurde folglich mit dem 'Goldenen Buch“ des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels ausgezeichnet. Der aktuelle Titel 'Best of“ dient wohl verkaufstechnischen Überlegungen und trifft nicht das Wesen des Autors, dem es nie um den medienwirksamen Superlativ ging, sondern immer um die Substanz. Sucht man dennoch nach einem Superlativ, so zählt es sicher zu seinen persönlichsten. In 16 Abschnitte gegliedert, bietet der Band Beiträge, Interviews und thematisch geordnete Zeitungsartikel, die in ihrer Zusammenstellung einen Einblick in die Interessens- und Arbeitsgebiete von Paul Lendvai geben: Die Bezüge zu Österreich, Ungarn, Osteuropa, der EU, Russland, USA und Israel bilden die Überschriften der größeren Kapitel. Nur die erste Überschrift überrascht: Ein Tag in Gunskirchen Es war der 11. April 2008, auf den sich Paul Lendvai in dieser Überschrift bezieht. Von Renate Engelmayr, Leiterin der Öffentlichen Bibliothek Gunskirchen, war er zu einer Lesung eingeladen worden, und traf sich mit ihr zu einer Vorbesprechung. Mit Bezug auf seine ungarische Herkunft erwähnte sie das NS-Konzentrationslager in Gunskirchen, das am Ende des Zweiten Weltkrieges zum Schreckens- und Sterbeort für Tausende ungarische Häftlinge wurde - darunter auch Frauen und Kinder. Paul Lendvai, der schon viel über das Thema Nationalsozialismus und Judenvernichtung gearbeitet hatte, beschreibt in diesem Eingangskapitel, was diese Nachricht und der folgende Besuch des Gedenksteines in ihm ausgelöst haben: Er selbst war am 20. Oktober 1944 im Alter von 15 Jahren mit Abertausenden anderer ungarischer Juden von einem NS-Sonderkommando gefangen genommen und deportiert worden. Zusammen mit einem Freund gelang ihm die Flucht und bewahrte ihn vor dem Schicksal, das für die meisten in den Strapazen des Transports, im unerträglichen Winter von Mauthausen oder auf dem Weg nach Gunskirchen tödlich endete. Der Schatten der Erinnerung All die Erinnerungen an diese Ereignisse waren bei Paul Lendvai versunken, verdunkelt, verdrängt. Er selbst spricht von einem 'schwarzen Loch in meinem Gedächtnis“. Nun in Gunskirchen, 64 Jahre später, tauchen die Erinnerungen langsam wieder auf und werden zum Ausgangspunkt weiterer Recherchen und Untersuchungen, bei denen ihm Renate Engelmayr hilfreich zur Seite steht. Gedächtnisort Bibliothek Zusammen mit den Museen und Archiven werden die Bibliotheken zu den Gedächtnisinstitutionen gerechnet. Selten noch hat diese Bezeichnung besser gepasst, als in diesem Zusammenhang. Hier geht es um die lebendige Erinnerung an ein mörderisches Regime, die Erinnerung an zahllose Opfer, die Erinnerung der heute Lebenden und die wieder erlangte Erinnerung eines heute fast 80-jährigen Mannes an sein glückliches Überleben vor 64 Jahren. Im Zugehen auf das Mahnmal von Gunskirchen und dem Wiederfinden der Erinnerung hat Paul Lendvai eine wichtige Gedächtnisspur für heutige und künftige Generationen gelegt, zugleich hat er Renate Engelmayr und ihrer Bibliotheksarbeit eine sehr persönliche journalistische Ehrentafel gesetzt und damit auch allen BibliothekarInnen, die sich der Funktion Öffentlicher Bibliotheken als lebendige Gedächtnisinstitutionen annehmen. In 'Ein Tag in Gunskirchen“ kommt ein zentraler Wesenszug des Autors zu tragen. Im Geschichtsbegriff von Paul Lendvai geht es nicht vorrangig um Länder, Entwicklungen oder Konflikte. Es geht um Menschen. Allen Bibliotheken nachdrücklich empfohlen.
Personen: Lendvai, Paul
Lendvai, Paul:
Best of Paul Lendvai : Begegnungen, Erinnerungen, Einsichten / Paul Lendvai. - Salzburg : Ecowin, 2008. - 271 S.
ISBN 978-3-902404-66-4 fest geb. : ca. € 19,95
Politische Philosophie, Staatslehre, Ideologien - Signatur: GP.P Lend - Buch: Sachbuch