Dass Hirka nicht richtig dazugehört, dass ihr nur ein Randplatz in dieser Gesellschaft zusteht, war ihr als Findelkind immer schon klar, auch wenn ihr der Heiler und Händler, der sie als Neugeborenes halbtot gefunden und großgezogen hat, ein guter Vater war. Dass das Mädchen allerdings gar nicht von dieser Welt ist, wird sie selbst erst im Lauf der Geschichte erfahren. In der sie im Rahmen einer klassischen Heldenreise diese Welt durchmisst, zumindest jene Regionen, die im ersten Teil der „Rabenringe“-Trilogie vor den LeserInnen ausgebreitet werden: Eine nördliche Landschaft – viel Wald, unwegsames Gelände, Gebirge –, in der die Menschen in einer Art ständischen Gesellschaft organisiert sind. Die Herrschaft wird vom Rat ausgeübt, einem Gremium aus Mitgliedern von zwölf alten Familien. Ihre Macht basiert auf ihrem direkten Zugang zum Seher, dem Rabengott, der diese Welt geschaffen hat und lenkt. Vieles von dem, was die Norwegerin Siri Petterson in „Odinskind“ verwebt, kennt man aus (auch) klassischen Texten der High Fantasy: wichtige Motive, Figuren und Figurenkonstellationen ebenso wie die Grundkonflikte und dramaturgischen Wendungen: Das elternlose Kind, das über besondere Fähigkeiten verfügt, auf der Suche nach seiner Herkunft ist und zum Spielball im Kampf der Mächtigen wird; eine tiefe wilde Freundschaft zwischen zwei Kindern unterschiedlicher gesellschaftlicher Stände, die sich zu einer unangemessenen Liebe auswächst; ein Auswahl-Ritual, das alle Adoleszenten durchlaufen müssen; ein Steinkreis als Tor in eine andere Welt … Siri Pettersen aber macht aus all dem etwas Neues. Und das ist spannend, unterhaltsam, lesenswert. Weil ihre Figuren so komplex angelegt sind wie die Herrschaftsstruktur ihrer fiktiven Gesellschaft, weil sie sprachlich schnörkellos, souverän und dramaturgisch gekonnt erzählt, immer das richtige Tempo wählt. Und – zumindest den Rezensenten – mit unerwarteten Wendungen überrascht. Außerordentlich für ein Genre, das davon lebt, die gleichen Geschichten immer wieder auch gleich zu erzählen. (Anfang des Jahres ist mit „Fäulnis“ auch schon Band zwei erschienen).
Serie / Reihe: Die Rabenringe 1
Personen: Lendt, Dagmar (Übers.) Mißfeldt, Dagmar (Übers.) Pettersen, Siri
Pettersen, Siri:
¬Die¬ Rabenringe - Odinskind / Siri Pettersen. - Zürich : Kein & Aber, 2018. - 653 S. - (¬Die¬ Rabenringe; 1). - Aus dem Norw. von Dagmar Mißfeldt und Dagmar Lendt
ISBN 978-3-03-880013-2 fest geb. : Eur 20,60
Fantasy - Signatur: JE.J Pett - Buch: Kinder/Jugend