Eine halbwegs sensible Seele vermag durchaus aus der eigenen Familie eine Universalgeschichte herauszulesen. In großen Cinemascope-Träumen geht dann die Geschichte Europas in eine Familiengeschichte über. Walter Grond stellt in seinem Roman drei Lieben vor, die anhand eines Routenplaners der Gefühle vom Dorf nach Wien, ins Baku des ersten Weltkrieges, nach Paris und kurz zurück ins Schüsselsche Österreich führen. Die drei Lieben sind an drei Frauen festgemacht, über die der forschende und erzählende Enkel die höheren Zusammenhänge erfährt. Dabei hat die offizielle Geschichtserzählung nur sporadisch mit dem Lebensfluss zu tun, der unter der Hülle von Ehen und Beziehungen dahinrauscht. Der Großvater hält es gegen Ende des Ersten Weltkrieges zu Hause im Dorf nicht mehr aus, er meldet sich freiwillig und heimlich an die Front und landet nach dem Krieg in Baku, wo er Aufnahme in einer reichen Familie findet und Jale heiratet. Aber der Krieg kommt in Gestalt der Revolution nach Aserbaidschan, die Familie folgt der Route des berühmten Orient-Expresses und geht nach Paris. Die mittlere Epoche spielt sich in Österreich ab, Sophie pflegt das Grab eines falschen Vaters, der Enkel entdeckt sie am Dorf und sie erzählt ihm die Geschichte des Umsturzes in Österreich, wie sie ein arisiertes Klavier erworben hat und die Männer grausam sind, wenn es politisch nicht richtig läuft. Der dritte Teil spielt in der Gegenwart, der Erzähler findet sein Glück mit Rita, die als UNESCO-Archäologin die Zerstörung afghanischer Kulturgüter zu dokumentieren hat. Der Erzähler arbeitet in Paris als Dramaturg, er ist wegen Schüssel ausgewandert, weil er das rechtsradikale Regime nicht mehr derpackt hat. Rita kennt das Schicksal der Familie und kümmert sich darum, mit feinen Sensorien Zusammenhänge zwischen dem Privaten und der großen Geschichte herzustellen. Letztlich gibt es nur eine gültige Geschichte, nämlich jene, die man als Familie durchlebt hat. Um sie herum gilt es Sinn aufzubauen, wie immer auch die Ausgangsmaterialien ausschauen mögen. Walter Grond nimmt von historischen Ereignissen jeweils die stille, abgelegene Seite, um im Windschatten der Strömungen die Familienbande zu knüpfen. Die Helden analysieren jeweils die Gegenwart, was ihnen aber nicht viel bringt, denn Geschichte wird immer erst hintennach geschrieben. "Baku würde bald eine vergangene Geschichte in ihrem Leben sein." (39) Schön ist natürlich die politische Beurteilung, wenn der erste Weltkrieg genauso elementar entwickelt ist wie das Schüssel-Regime. Die Weltlage dient eben einerseits als Ausrede für individuelles Handeln, andererseits liefert sie das Vokabular für die privaten Schicksalsschläge. - Eine schöne Liebesgeschichte auf dem Pulverfass der jeweiligen Zeitgeschichte. Helmuth Schönauer
Personen: Grond, Walter
Grond, Walter:
Drei Lieben : Roman / Walter Grond. - Innsbruck ; Wien : Haymon, 2017. - 164 S.
ISBN 978-3-7099-7214-4 fest geb. :Eur 19,90
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Gron - Buch: Dichtung