Faschinger, Lilian
Stadt der Verlierer Roman
Buch: Dichtung

Schwierige Balance Lilian Faschingers Roman "Stadt der Verlierer" ist halb gelungen Eine Gattung zu handhaben und sich dabei der üblichen Schemen zu bedienen, um sie als solche zum literarischen Spiel- sowie Erkenntnismaterial zu gestalten, das verlangt einen gehörigen dichterischen Seiltanz. Die scheinbare Leichtigkeit der Schwebe ist schwer zu halten, das Klischeegewicht kann schnell auf den Boden des Genres zurückwerfen. Lilian Faschingers Werk beruht oft auf einem artistischen Balanceakt, der gelungene ästhetische Pirouetten zeitigt; es fällt bisweilen allerdings zu überladen oder eine Spur plakativ aus. In Die neue Scheherazade, ihrem ersten Roman von 1986, zieht sich die Austroperserin Scheherazade Hedwig Moser, der Rolle als Außenseiterin überdrüssig, auf ihr Sofa und in den Freiraum des Fabulierens zurück. Diese Flucht in die Phantasie, die auch mit Trivialmythen umzugehen versteht, ist ebenso plausibel wie anregend geschildert, so daß die Erzählung aus der Tiefe des Sofas eine eigentümliche Tiefsinnigkeit erhält. Erzählen, zuhören: Eine neue Magdalena Sünderin (1995), eine siebenfache Männermörderin, zwingt einem gekidnappten Pfarrer ihre Beichte auf und schildert dabei ihre Europareise durch alte und moderne Mythen, bis dieser Reigen überdreht scheint. Den 1999 erschienenen Roman Wiener Passion hat Lilian Faschinger als narratives Panoptikum bekannter Stadtbilder, psychischer und krimineller Abwege, historischer und aktueller Ansichten angelegt. Sie scheut sich nicht dick aufzutragen und schafft dennoch eine Vielschichtigkeit von Wiener-Blut-Orten, im neuen Roman nun als Stadt der Verlierer weitergeschrieben. Die zwei Erzählstränge geben abwechselnd die Innenperspektive eines wenig freundlichen Frauenfreundes und die Außensicht einer Detektivin wieder. Dieses Wien ersteht in präziser - nachgehbarer - Topographie, mit einem Flair falscher Fassaden, hinter denen allerlei große, kleine Machenschaften und Niederlagen ihren Lauf nehmen. In helle, dunkle Villen, Wohnungen, Durchhäuser dringen Blicke, und überall gibt es etwas zu verbergen. Eines ungemein heißen Sommers Früh stolpert Matthias Karner im Dickicht des Lainzer Tierparks zunächst über einen Schuh, dann über eine junge Frau, die sich hier den Freitod geben wollte. Der neunundzwanzigjährige Ich-Erzähler hatte als Adoptivkind in Kärnten gelitten, mit der Stiefschwester eine intensive, verbotene Geschlechtlichkeit erfahren und läßt sich, meist beschäftigungslos, von Frauen aushalten. Mit der geheimnisvollen Geretteten beginnt er eine heftige Affäre, während eine offenbar reiche Dame das Detektivbüro von Dr. Emma Novak, der in der Parallelerzählung die Sie-Draufsicht folgt, betritt: Sie will ihren einst zur Adoption freigegebenen Sohn ausforschen lassen. Derart kommen allerhand Beziehungsgeschichten und eine Kriminalhandlung - in dieser Ermittlungsphase bald vorhersehbar - in Gang, in denen die Schemen hervorgehoben und ironisiert werden mögen, die Klischees jedoch die Oberhand behalten. Dem gewöhnlichen Krimischema Tat - Ermittlungen - Aufklärung folgt Stadt der Verlierer im Grunde schon, allerdings ohne für die Spannungseffekte in erster Linie auf das Rätsel zu setzen. Die zwei abwechselnden Erzählstränge geben dafür Einblick in das Vorgehen der beiden konstitutiven Gattungsfiguren, Detektivin und Täter. Damit verknüpft Faschinger, im Titel angezeigt, einen Gesellschaftsroman und schafft so eine ansprechende Konstruktion, die feine Fäden zwischen den Ebenen, vielschichtige narrative Möglichkeiten bietet und im Zwillingsmotiv eine inhaltliche Entsprechung findet. Jedoch kommen mir einige Elemente unnötig explizit herausgestrichen vor, etwa das Tunnelmotiv im Part des Gitarre spielenden, Springsteen und Rocksongs zitierenden Matthias, der in einem Durchhaus wohnt: "Manchmal hatte ich das Gefühl, im Durchhaus zu stecken wie in einem Geburtskanal oder in einem Tunnel, aber es war eine Zangengeburt, und es war kein Tunnel of Love." Zudem sind einige Figuren und Vorgänge plakativ: Eine notleidende junge Mutter schiebt den zweitgeborenen Zwilling ab und eben dieser wird zum psychopathischen Nichtstuer-Widerling, während der erste mit 29 zum Architekturstar avanciert ist und die Mama zur reichen Dame; in einer Pötzleinsdorfer Villa greift eine andere Mutter auf männliche Jugendlichkeit und esoterisch weit in die Zeit zurück, während sich ihr Mann senil auf seine enge Version der Kriegsvergangenheit konzentriert; ein Friseur wird Detektivgehilfe, geht in Religionseinübung und Diätvarianten auf; eine Gerichtsmedizinerin stilisiert ihr Kulinarium, das die Bekochte kaum hinunterbringt… Gewiß gehört der Zufall zum Genre. In einem Roman, der auf ein plausibles Ambiente setzt und gut beobachtete Wiener Milieustudien bietet, ist es aber ein starkes Stück Diabolus-ex-machina, daß der morgendliche Schlenderer in Lainz, wie sich herausstellt, ausgerechnet auf die fast leblose Ehefrau seines erfolgreichen Zwillingsbruders stößt, von dessen Existenz er keine Ahnung hat. Vera Suttner nennt sie sich, Lügen gehen ihr leicht über die Lippen, mit Wahrheiten rückt sie bis zum letzten Atemzug nicht heraus. Den Gegensatz zum Namen betont Faschinger zu deutlich, und durch solche Überzeichnungen nimmt sie ihrer Stadt der Verlierer einiges an Finesse. Emma, der frischen Detektivin, schreibt sie eine Doktorarbeit über Seherinnen im alten Byzanz zu, einen Vorlesungstitel "Alexander der Große, ein typischer Vertreter des Machismo?" - ein ebenso einfacher Schmäh wie der Name des Detektivassistenten: Mick Hammerl. Und daß Emmas Freundin, später Geliebte, eben jene Gerichtsmedizinerin ist, die das Mordopfer obduziert, auch dies strapaziert den Zufall über Gebühr. Die Übererfüllung des Modell-Solls bewirkt im Kontext keine Distanzierung oder Ironisierung. Sie stört vielmehr die ansonsten recht packende Erzählung, die tiefen Einblicke. In ein paar Sätzen, in knappen Momenten versteht es Faschinger, Umgangsformen und Stimmungen, Existenzen und Charaktere nahezubringen. Jene Familienkatastrophen und Beziehungsmühen, aus denen letztlich fast alle als Verlierer hervorgehen. Jene einsame alternde Frau im kleinen, schlecht gehenden Laden und im grauen Vorgrab ihrer Wohnung, die für ein bißchen Lebensillusion ein falsches Alibi gibt. Jene Wiener Plätze, Gassen, Lokale. Jene Straßenszene, die von Faschingers satirischem Esprit zeugt, wenn sie die Frau Doktor Altertumswissenschaftlerin am Handy die Mama anrufen und Passanten, die sich angesprochen wähnen, mitreden läßt. Ihr pubertärer Sohn habe keine Aquaphobie, er wolle sich nur nicht waschen; was eine Aquaphobie sei, fragt ein Entgegenkommender: "Eine krankhafte Furcht vor dem Wasser", antwortete Emma im Vorübergehen. "Mach dich nicht über mich lustig", sagte Emmas Mutter, "das weiß ich doch selbst." "Ach so", sagte der junge Mann, "danke." *Literatur und Kritik* Klaus Zeyringer


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Personen: Faschinger, Lilian

Schlagwörter: Neuere österreichische Literatur Autor <Österreich> österreichische Literaur <Neuere>

Faschinger, Lilian:
Stadt der Verlierer : Roman / Lilian Faschinger. - München : Hanser, 2007. - 315 S.
ISBN 978-3-446-20817-9 fest geb. : ca. Eur 20,50

Zugangsnummer: 0015560001 - Barcode: 0000353601
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Fas - Buch: Dichtung