Goebel, Joey
Vincent Roman
Buch: Dichtung

Es gibt nicht wenige, die unter dem Titel Vincent vor allem eine Marketingmaschine mit abgeschnittenem Ohr und weniger einen tragödienhaften Maler sehen. Ein Künstlerroman mit Namen "Vincent" handelt also von vornherein von dieser Blase, in der das Machen der Kunst über dem Kunstmachen steht. Vincent ist ein skurill-höhnischer Künstlerroman, der mit allen Kunstbetrieben der Gegenwart ziemlich unrund ums Eck fährt. Ein greiser Kunstmäzen, der es vermutlich nicht mehr schafft, seine Millionen noch in dieser Welt auszugeben, sponsert die Kunst. Freilich ist es ein zynisches Sponsoring, denn in der Schreibschule für Eliten sollen die Künstler doofe Ware für ein doofes System herstellen, sprich, Drehbücher für Vorabendserien und Popsongs für illuminierte Kids. Nach einem Ausleseverfahren, das etwa dem Suchen eines jungen Buddha für den Lamakult entspricht, wird Vincent gefunden und in die Schreibschule New Renaissance gesteckt. Das Konzept ist fast jesuitisch genial. Wenn man dem Künstler genug Schmerzen zufügt, wird er ein Genie. Im Original heißt der Roman denn auch "Torture the Artist". Vincent entwickelt sich tatsächlich zu einem erfolgreichen Schriftsteller und Gebrauchskünstler, Vorabendserien schreibt er für Jahre hinaus auf Vorrat, die Drehbücher sind so wirr und soft, dass die entsprechenden Realisierungsverträge der einzige Tiefgang bei der Chose sind. Erzählt, gesteuert und gefaked wird das Künstlerexperiment von Harlan, einem Exmusiker, der im Management des Unsinns voll aufgeht. Die einzelnen Stationen von Vincent werden jeweils Frauen zugeordnet. Da gibt es die Mutter, die sich mit seicht-gewässerten Beischläfern über die Runden bringt, die Jugendliebe, Schulkolleginnen und Affären, die teilweise vom Manager abgefangen, inszeniert oder still gelegt werden. Gegen Ende des Romans kommt Vincent gar mit seiner eigenen Tochter in den Text, auch so eine künstlerische Erscheinung, denn das Kind ist ein Kunstprodukt. Wenn Schreibkrisen ausbrechen, wird der Künstler schon mal zusammengeschlagen, Ehrensache, dass man ihm Krankheiten vorgaukelt und die passenden Placebos dagegen verschreibt. Figuren treten immer als seichte Freunde auf, die als Steckbrief gleich aufsagen, was ihr Lieblingsdichter und ihre Lieblingsmusik ist, die Menschen werden zu Karteikärtchen der Kunst. Am Schluss schreibt Harlan noch einmal den Roman als Memoiren zusammen, für die Doofen muss nämlich immer alles doppelt erzählt werden. Joey Goebels Künstlergroteske ist eine grandiose Abrechnung mit jenem Kunstbetrieb, der allmählich in ein Metafake übergeht und jede Bodenhaftung mit der Realität verliert. Künstlerromane, gerade die guten, romantisch-saftigen deutschen, werden im Spiegel dieser sarkastischen Opulenz ordentlich an die Wand gespielt und das Lektürerepertoire jedes aufgeschlossenen Lesers wird mit großer Düse abgestaubt. Ein erhellendes Vergnügen. Helmuth Schönauer


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Personen: Goebel, Joey Herzog, Hans M. (Übers.) Jendis, Matthias (Übers.)

Goebel, Joey:
Vincent : Roman / Joey Goebel. - Zürich : Diogenes, 2005. - 431 S. - Aus dem Amerikan. von Hans M. Herzog und Matthias Jendis
ISBN 3-257-86122-2 fest geb. : € 20,50

Zugangsnummer: 0013808001 - Barcode: 0000349284
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Goe - Buch: Dichtung