Kriegsbegeisterung, Schützengräben, Verbrüderung zu Weihnachten 1914 an der Westfront, Gaskrieg, Steckrüben, schwertraumatisierte Soldaten, die von Frauen aufopfernd gepflegt werden – das sind die Stichwörter, die diesen drei Jugendbüchern über den Ersten Weltkrieg gemein sind. Gegen die Brutalität und Unmenschlichkeit des Krieges wird die Liebe als einzig wirksame Gegenkraft gestellt – die Liebe zu anderen Menschen ebenso wie die Liebe zur Kunst. Alle drei Bücher stammen aus Deutschland, das erklärt auch den für österreichische LeserInnen ungewohnten Rückbezug zur Sedan-Schlacht: Sarajevo ist aus dieser Perspektive weiter weg, die Habsburger nur eine Randerscheinung. Herbert Günther erzählt in „Zeit der großen Worte“ nachvollziehbar die Geschichte einer deutschen Familie zwischen 1914 und 1918 aus der Perspektive des 14-jährigen Paul. Die Kriegsbegeisterung seines Vaters und Bruders legt sich schon im ersten Heimaturlaub und weicht einer Verstörung: Verletzungen und Verluste sowie die furchtbare Alternative „schießen oder erschossen“ werden machen schweigsam und unzugänglich. Die Familienmitglieder zuhause sind ganz mit der Bewältigung des Alltags in der Kleinstadt beschäftigt: das Warten auf Briefe, die Ungewissheit und zunehmende Not, in der man kaum das Nötigste zum Leben hat. Was wirklich Halt geben kann, sind die familiären Beziehungen sowie die Liebe, die zwischen den jungen Leuten entsteht und auf Standesunterschiede pfeift. Auch dass Paul die Welt der Bücher entdeckt, hilft ihm, die Kriegszeit zu überstehen. In jedem dieser drei Bücher findet sich eine Zeittafel, wobei jene von Herbert Günther die ausführlichste und interessanteste ist, da sie von 1848 bis 1933 reicht und neben den kriegerischen Ereignissen auch Entwicklungen in der Kunstwelt anführt. Auch sein Glossar bietet die übersichtlichsten Informationen. „Der Krieg ist ein Menschenfresser“ stellt Ferdinand Frenzel, einen Jungen aus einer einfachen Leipziger Arbeiterfamilie, und Max Quinte, ein Bübchen aus besserem Berliner Haus, gegenüber. Beide sind an der Westfront, aber während der eine nach der ersten Ernüchterung versucht, den Krieg heimlich mit seiner Kamera zu dokumentieren, gerät der andere in die Abteilung des Scharfschützen Pfals, der Jagd auf Pazifisten innerhalb der Armee macht. Ist es Pfals oder ist es Max, der Ferdinand schließlich erschießt? Max verzweifelt an diesem Erlebnis, immerhin hat er Ferdinands Tasche gerettet und beiseite geschafft. Was aber darin ist und warum Pfals vor keinem Mittel zurückschreckt, um an die Tasche zu kommen, kann er erst nach einem langen Heilungsprozess, in dem seine Freundin Sophie eine zentrale Rolle spielt, herausfinden. Der Blickwinkel wird in diesem Buch also vom Kriegsgeschehen zwischen verschiedenen Völkern hingelenkt auf das, was innerhalb der deutschen Armee, innerhalb der verschiedenen deutschen Lager an Feindschaft auftauchte. Die Verbindung zum Heute schafft „Feldpost für Pauline“ mit einer Feldpostkarte, die in einem alten Postsack kleben geblieben ist und erst knappe hundert Jahre später an Pauline, die Urenkelin der damaligen Adressatin Pauline, ausgeliefert wird. Das Mädchen des 21. Jahrhunderts spürt in den Erzählungen der Großmutter neugierig ihrer Herkunft nach. Während die moderne Pauline mit ihrer Begabung im Cellospiel hadert und sich dem Leistungsdruck entziehen möchte, der auch in ihre Liebesbeziehung einen Riss gebracht hat, rettet gerade ein Cello den Soldaten Wilhelm, den Verlobten der Pauline des Jahres 1916, aus den Kriegsgefahren. Durch die Parallele zum Heute gewinnt diese Erzählung Distanz zum Kriegsgeschehen und ist bei aller Spannung etwas leichter zu nehmen als die Texte, die sich direkt auf dem Schlachtfeld abspielen. Deutlich wird mit diesem Text: Geschichtsbewusstsein kann am besten und eindrücklichsten über die persönliche Begegnung mit Zeitzeugen entstehen.
Personen: Günther, Herbert
Günther, Herbert:
Zeit der großen Worte / Herbert Günther. - 3. Aufl. - Hildesheim : Gerstenberg, 2015. - 314 S.
ISBN 978-3-8369-5757-1 fest geb. : ca. € 15,40
Geschichte ab dem 20. Jahrhundert - Signatur: JE.GE Günt - Buch: Kinder/Jugend