Hochkultur und Grausamkeit im China des 18. Jahrhunderts. (DR) Christoph Ransmayr hat seine Leser bereits in die Arktis und die antike Stadt Tomi am Schwarzen Meer, nach Brasilien und Tibet entführt. Es sind aber immer Europäer, die in diese fernen Weltgegenden aufbrechen und sie mit europäischen Augen betrachten. Diesmal werden vier englische Uhrmacher vom chinesischen Kaiser eingeladen, um ganz besondere Zeitmesser für ihn zu bauen. Als Gäste des mächtigsten Despoten der Erde, der sich Herr der zehntausend Jahre nennt, genießen die Briten unerhörte Privilegien und sind doch zugleich Gefangene, die auf Schritt und Tritt von Wächtern bespitzelt werden. Wie gefährdet sie sind, wird ihnen klar, als sie von den raffinierten Folter- und Hinrichtungsmethoden erfahren, die jedem drohen, der in Ungnade fällt. Der Kaiser ist freilich kein brutaler Barbar, sondern ein höchst kultivierter und feinsinniger Mann, der Naturgedichte in Schönschrift zu Papier bringt oder auch nur mit rasch verdunstendem Flusswasser auf Ufersteine schreibt. Dieses Verschwinden der Schrift kennt man aus dem "Fliegenden Berg", wie denn überhaupt viele Motive hier auftauchen, die Ransmayr-Lesern bereits aus früheren Texten vertraut sind. Der Roman spinnt eine fiktive Handlung um historische Realitäten. Der Kaiser Qianlong (1711-1799) hat ebenso existiert wie der Londoner Uhrmacher Cox, dessen mechanische Wunderwerke auch nach China exportiert wurden und heute von Touristen in Peking bestaunt werden können. "Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein", schrieb Walter Benjamin 1940. Bei Ransmayr heißt es: "Im Schatten jedes Weltwunders lag ein Massengrab." Dieser harte und unbeschönigte Kontrast bewahrt den Roman vor parfümiertem Exotismus. Den melancholischen Grundton aber bilden Gedanken an die Sterblichkeit des Menschen und die Vergänglichkeit all seiner Hervorbringungen. - Sehr empfehlenswert.
Personen: Ransmayr, Christoph
DR
Ran
Ransmayr, Christoph:
Cox oder der Lauf der Zeit : Roman / Christoph Ransmayr. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2016. - 302 S.
ISBN 978-3-10-082951-1 fest geb. : ca. € 22,70
DR - Schöne Literatur