Orange gekleidet schlägt ein junges Mädchen auf dem weißen Hintergrund des Impressums ein Rad in fünf einzelnen Sequenzen. Über dem Titel setzt es dann zu einem neuen Überschlag an und steht auf der nächsten Doppelseite in Großaufnahme schon mitten in der Geschichte: im Handstand auf nur einer Hand vor dem Hintergrund eines kleinen afrikanischen Dorfes. „Meine Tante nannte mich Wildfang. Dann kam der Krieg und meine Tante nannte mich nicht mehr Wildfang.“ So beginnt die Erzählung des Mädchens, das mit seiner Tante in ein fremdes Land flüchtet, um sich in Sicherheit zu bringen. Dort ist alles fremd: die Leute, das Essen, die Tiere und Pflanzen, der Wind und die Sprache. Es fühlt sich allein und sogar sich selber fremd: „Es war, als wäre ich nicht mehr ich.“ Dem Mädchen bleibt nur noch seine Welt zu Hause: die eigenen Worte und Geräusche, in die es sich wie unter eine schützende Decke zurückzieht und aus der es gar nicht mehr herausgehen will: „Ich nannte sie meine alte Decke.“ Da lächelt ihm im Park ein anderes Mädchen zu. In langsamem Tempo und behutsam komponierten Illustrationen gelingt die Annäherung der beiden Mädchen, das Problem bleibt die Sprache. So entwickelt sich eine Freundschaft, deren Kommunikation erst allmählich über Worte abläuft. In der Figurenzeichnung eher konventionell und anmutig, entwickeln die kolorierten Umrisszeichnungen ihren besonderen Charme vor allem in den innenperspektivischen Szenen: auf viel leerem Raum lassen sie sich auf die Gefühlswelt des Mädchens ein und veranschaulichen seine Verunsicherung und seinen Vertrauensverlust in die fremde Umwelt und in die Wahrnehmung seiner selbst. Im Spiel mit der Freundin erarbeitet sich das Mädchen mühsam Wort für Wort und beginnt mit der Zeit, sich eine neue Decke zu weben, „genauso warm, weich und gemütlich“, wie seine alte. Dieses Bilderbuch zeigt einfühlsam, was es heißt, wenn die Heimat verloren geht, die Sprache eine andere ist und das Gefühl von Schutz und Sicherheit plötzlich nicht mehr da ist. Allerdings finden viele Flüchtlingsschicksale in der Realität leider kein so ermutigendes Ende.
Personen: Roher, Michael Kröll, Tatjana Kobald, Irena Blackwood, Freya
JD
Zuh
Zuhause kann überall sein / Irena Kobald [Text] & Freya Blackwood [Ill.]. [Übers.: Tatjana Kröll]. - Dt. Erstausg. - München : Knesebeck, 2015. - [15] Bl. : überw. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-86873-757-8 fest geb. : ca. € 13,40
JD - Kinder/Jugend Bellet