Die Biografie des Vaters als Teil der Identität des Sohnes. (DR) Als der damals 30-jährige Peter Henisch 1975 mit seinem Roman "Die kleine Figur meines Vaters" an die Öffentlichkeit trat, war die Abrechnung mit der Vätergeneration gerade voll im Gange. Drei Jahrzehnte später konstatiert Thomas Rothschild von der Frankfurter Rundschau, dass die vom Autor überarbeitete und mit Fotos ergänzte Romanfassung eines der wenigen Bücher ist, "die die Vatermode jener Jahre unbeschädigt überlebt haben". - Peter Henisch geht dem Leben seines Vaters, der schwer krank kurz vor seinem Tod steht, nach. Eine wichtige Motivation ist, dass er sich selber besser kennen lernen möchte. Was dem Vater die Kamera, ist dem Sohn das Aufnahmegerät und der Schreibblock. Wie der Vater die Wirklichkeit in Bildern dokumentierte und stets mit grausamer Neugier am Motiv interessiert war, so dokumentiert nun der Sohn mit Sprache und Wörtern. Das Ergebnis ist vielschichtig: Einerseits bieten die Tonbandaufnahmen authentische Darstellungen aus dem Leben des Vaters, die sehr subjektiv sind, andererseits transportiert er das gesellschaftliche Umfeld der 1930er Jahre, des Krieges sowie des Nachkriegsösterreich sehr anschaulich. Dazwischengeschaltet sind die Bilder, in denen der Sohn immer und immer wieder blättert und die viel über den Fotografen verraten, der sich selten mit verewigt. Die Verewigung seiner selbst geschieht in den zahlreichen Bildern und den bevorzugt erzählten Anekdoten. Walter Henisch hatte es mit seinen kaum mehr als 1,50 m Körpergröße zu keiner Zeit seines Lebens leicht gehabt. Humor und Schlitzohrigkeit wurden zu seinem Markenzeichen, wurden seine Strategie, sich bemerkbar zu machen und körperlich weitaus Stärkeren eins auszuwischen. Alle Pläne, nach dem Krieg Karriere zu machen, bleiben ihm versagt, er, der als erfolgreicher Kriegsberichterstatter der Deutschen Wehrmacht tätig war, ist nicht mehr salonfähig. Peter Henisch integriert in seine Spurensuche sein eigenes Leben sowie seinen Schreibprozess, der auch Ähnlichkeiten mit der Arbeit des Vaters aufweist. Der Autor geht behutsam vor im Umgang mit seinem Vater, er verurteilt nicht, denn er liebt ihn und er hat Mitleid mit ihm - er folgt dem Rat nicht: "Du musst deinen Vater verurteilen, sonst verteidigst du ihn... Irgend jemand hat mir das unlängst gesagt. Vielleicht hat er oder sie ja recht gehabt. Andererseits, Papa, fange ich an, Dich auf eine neue Weise zu lieben." Heute sind solche Sätze vielleicht nicht mehr so gewagt wie vor 30 Jahren. Heute ist diese Vater-Sohn-Geschichte aber immer noch so wichtig, um annähernd zu verstehen, warum Menschen für ein Regime wie den Nationalsozialismus in den Krieg gezogen sind. Aber auch sprachlich und literarisch ist dieses Buch umwerfend und allen Bibliotheken, besonders auch Schulbibliotheken sehr zu empfehlen. *bn* Martina Lainer
Personen: Henisch, Peter Henisch, Walter
Standort: Bibliotheksreferat
Henisch, Peter:
¬Die¬ kleine Figur meines Vaters : Roman / Peter Henisch. Mit Fotos von Walter Henisch. - Salzburg : Residenz Verl., 2003. - 270 S. : Ill.
ISBN 3-7017-1343-X fest geb. : ca. Eur 16,90
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Hen - Belletristik