Träumen kostet Mut Zwei Heldinnen überschreiten Grenzen und pfeifen auf Anpassung "Meine Mutter hat mir beigebracht, dass in diesem Land jeder die gleichen Chancen hat. Sie hat mich dazu ermutigt zu träumen." So beginnt Undine Zimmer die Schilderung ihrer Kindheit: Sie skizziert eine Mutter, die ihrer Tochter Mut macht, ihr ein "Trau dich" mit auf den Lebensweg gibt, während sie selbst arbeitslos ist und bleibt, sich und ihr Kind mit Harz-IV durchbringt. Nie, so die Autorin, habe ihre Mutter Schuldige für die finanziellen Engpässe oder das ständige Rechnen- und Sparenmüssen gesucht. Die Tochter maturiert, zieht ihr Studium durch und erinnert sich daran, dass einer ihrer beliebten Rückzugsorte ihrer Kindheit die Badewanne war. Der Verlag bezeichnet Zimmers Buch als "authentischen Erfahrungsbericht", wiewohl er auch ganz nah dran am Entwicklungsroman ist. Die oberösterreichische Autorin Gabi Kreslehner legt einen Coming-of-Age-Roman (neudeutsch für Entwicklungsroman) der besonderen Erzählgeschwindigkeit vor: Die 15-jährige Paula wird von ihren Eltern mehr gezwungen als gebeten, ihren 17-jährigen Bruder Paul aus dem Heim abzuholen. Schließlich wird Opa 70, die Familie will das mit Schweinsbraten und Nusstorte feiern. Paula liebt ihren Bruder und verliebt sich in Tom, der mit ihr im Zugabteil sitzt und Saxophon spielt. Verliebtheit, Wut auf die Familie, dazwischen Paul, der die Dinge stets auf den Punkt bringt und unbedingt ans Meer will. Beide Bücher zeichnet ein klarer Erzählton auf, nie langatmig, stets auf Selbstwirksamkeit fokussiert, ohne dabei Heldinnen zu erschaffen, die mit einem "Augen zu und durch" durch die Welt wedeln. Nein, sowohl Undine als auch Paula erleben Trauer, Wut, Verzweiflung und dazwischen bedingungslose Liebe. Wer über das eigene Leben an der Armutsgrenze (Zimmer) und über Menschen mit Behinderung sowie deren Familien (Kreslehner) schreibt, ist mutig. Beide Autorinnen entsagen dem Pathos, dem falschen Mitleid und weben Humor - viel Humor - in ihre Geschichten. *Apropos* siehe auch: Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern
Personen: Zimmer, Undine
Standort: Bibliotheksreferat
Zimmer, Undine:
Nicht von schlechten Eltern : meine Hartz-IV-Familie / Undine Zimmer. - Frankfurt am Main : S. Fischer, 2013. - 253 S.
ISBN 978-3-10-092592-3 ca. Eur 18,99
GS Soziologie, Ethnologie - Signatur: GS Soziologie, Ethnologie Zim - Sachbuch