Vielerlei Gespür für Schnee Wer im Auto sitzt, wer eine Bergstraße bezwingt, wer in einen Tunnel fährt, dem und der sieht man diese inneren Katastrophen nicht an. Alles so normal. Da greift der Autor ein, lässt die Fahrzeuge aufeinanderprallen, würfelt Menschen, Körper und Schicksale durcheinander. Der, der die Maut kassiert hat, war der einzige, der ihnen auch ins Gesicht gesehen hat und sich so seine Gedanken machen konnte. Ein Lastwagen reißt das Mauthäuschen weg, versperrt schließlich den Tunneleingang. Drinnen schreit eine Frau. Suza? Der Tiroler Autor Bernhard Aichner versteht viel vom Sterben, vom Tod und vom Leichenbestatten: Der Held seiner Max-Broll-Krimis ist Leichenbestatter, seine Bestseller "Die Totenfrau" stellt eine wütende Leichenbestatterin in den Mittelpunkt. Doch hier geht es um den Tod, der eintrat, als alle Herzen noch schlugen: Da frisst sich einer vor dem Fernseher fett, will Polizist werden, lässt sich einen Bart wachsen. Peter Hoeg erzählt bereits 1992 davon, wie viel Gespür Menschen für Schnee haben können. "Fräulein Smillas Gespür für Schnee", hat sowohl als Buch als auch später in der Verfilmung Begeisterung ausgelöst, Betroffenheit auch. Denn hier ist es Smilla Jaspersen, im Volk der Inuit aufgewachsen und von dort entwurzelt, die sich in Kopenhagen versucht, neu zusammenzusetzen. Mit dem kleinen Inuit-Buben Isaiah hat sich angefreundet, sie glaubt nicht, dass er vom Dach stürzte, sondern ermordet wurde. Hier geht die Geschichte über die Einsamkeit zweier Personen weiter, tiefer als bei den Erzählfäden Aichners: Isaiahs Vater ist an den Folgen eines Unfalls bei einer Antarktisexpedition gestorben, unter mysteriösen Umständen. Zerbrochene, Verwirrte, Suchende: In beiden Romanen spitzen sich die Ereignisse zu, explodieren, während gleichzeitig die Schneeflocken fallen. Frau Holle war gestern, heute ist die Unschuld des Schnees hinterfragt oder besser gesagt, diese beiden Romane spielen mit der Schnee-Metapher, Smilla weiß den Schnee zu lesen und Aichners Protagonisten sind Getriebene, die noch keine Zeit dafür hatten, Gespür für Schnee zu entwickeln. Und davor noch für sich selber. *Apropos*
Personen: Aichner, Bernhard
Standort: Bibliotheksreferat
Aichner, Bernhard:
Schnee kommt : Roman / Bernhard Aichner. - Innsbruck : Haymon, 2014. - 231 S.
ISBN 978-3-7099-7158-1 fest geb. : ca. € 17,90
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Aic - Belletristik