Winkler, Josef
Winnetou, Abel und ich
Belletristik

Kann jemand durch schlechte Lektüre den Weg als kapitalistisches Nutztier verfehlen und kann Karl May das Überleben sichern und gar zur guten Literatur führen? Josef Winkler, der sich immer wieder für den Ausbau des österreichischen und insbesondere kärntnerischen Bibliothekswesens stark macht, zeigt an einem ziemlich autobiographischen Erzähl-Ich, wie jemand auf einem Kärntner Bauernhof durch Karl May dem allumfassenden Stall entkommt. Der Ich-Erzähler, vom Vater als nutzloser Fresser am Hof abgetan, wird anhand der Bibel an die Welt der Fiktion herangeführt. Das Beispiel von Kain und Abel, wo einer erschlagen werden muss, beeindruckt ihn, weil mit seinem älteren Bruder und Hoferben sicher kein langes Auskommen sein wird. Zunächst erbettelt er sich das bisschen Geld, das er für seinen ersten Kinobesuch braucht, wo es Winnetou I im Kino eines Fabrikgeländes zu sehen gibt. Bald darauf lässt er sich den ersten Karl May aus der Stadt mitbringen und dann ist es um ihn geschehen. Er liest und liest und ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Die Hof-Umstehenden sind in großer Sorge, erstens weil der Bua liest und zweitens weil es Karl May ist. Erst als der Tierarzt ein Lese-Lob ausspricht, herrscht kurzer Frieden am Gelände. In der Folge geht der Erzähler der Landwirtschaft verloren und in der Literatur auf. Hemmungslos klaut er Geld zusammen, um sich die nötigsten Karl Mays zu kaufen. Als er in der Handelsschule Maschine schreiben lernen muss, lässt er sich zu Hause eine Schreibmaschine aufstellen, mit der er die wichtigsten Stellen des Winnetou abtippt. Nebenher hängen sich ständig Leute auf. Als der Vater seine Mutter am Dachboden aufgehängt findet, sagt er treffend: "Oba Muata, oba Muata." (51) Das "oba" lässt sich als Herunter! oder staunendes Aber! lesen. Nach dem frühzeitigen Ausscheiden aus dem Schulwesen arbeitet der Ich-Erzähler beim Kaiser-Verlag und klebt die Karl-May-Corpusse in die entsprechenden Umschläge. Bei dieser Tätigkeit bleibt er immer wieder an den grandiosen Cover von Sascha Schneider hängen, die beispielsweise den nackten Winnetou beim Auffahren in den Himmel zeigen, während dieser die irdische Häuptlingsfeder verliert. In den anschließenden vier Erzählungen sind Schlüsselpassagen aus Winnetou I-III und Weihnacht nacherzählt. Hier besticht der blumig knappe Ton, mit dem die Helden aus Karl May beinahe Kärntnerisch föhnig miteinander umgehen. Winnetou legt unter anderem kalt lächelnd einen Killer um, will dann aber doch das Ave hören beim Sterben und sagt diese unsäglich jenseitige Fügung: "Jetzt kommen die Worte vom Sterben." Josef Winklers Saga vom Auftrag des Lesens liest sich griffig klar wie ein Karl May. Oft ist es ein einziges Wort, das eine ganze Talschaft in ihrer Eigenbrötelei beschreibt. Wenn etwa die Kinder in ihren langen eingeweidefarbenen Unterhosen in der Stube hocken, riecht alles nach jenem Kälberstrick, mit dem die Tiere in der Nacht an die Welt gezogen werden und mit dem man sich am Nachmittag aufhängt. - Unentrinnbar. Helmuth Schönauer


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Personen: Winkler, Josef Schneider, Sascha (Ill.)

Standort: Bibliotheksreferat

Schlagwörter: Abel Winnetou

Winkler, Josef:
Winnetou, Abel und ich / Josef Winkler. Mit Bildern von Sascha Schneider. - 1. Aufl. - Berlin : Suhrkamp, 2014. - 141 S.
ISBN 978-3-518-42448-3 ca. Eur 19,50

Zugangsnummer: 0017218001 - Barcode: 0002034423
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Win - Belletristik