Wir haben es hier mit dem seltenen Fall einer Autobiografie zu tun, die seit ihrem Erscheinen mehr und mehr Zweifel weckte, ja den Verdacht aufkommen ließ, von Ungenauigkeiten bis hin zur Verfälschung durchzogen zu sein. Damit keine Missverständnisse entstehen: Weniger als nichts ist ein erschütternder und spannend erzählter Lebensbericht; die Zweifel indes werden genährt durch gewisse Ungereimtheiten in den Eckdaten, der Unterschlagung oder falschen Wiedergabe von Namen, Daten, Örtlichkeiten. In einem Interview mit Amazon.com schreibt die Autorin die Farbigkeit ihrer Erzählweise genau diesem Umstand zu: "I think perhaps what's colored my writing most is the lack of a sense of place -- and, often, the lack of a sense of self." Die heute in Kalifornien lebende Journalistin Elizabeth Kim (den Namen gaben ihr die amerikanischen Adoptiveltern), ist heute zwischen 46 und 50 Jahre alt. Namenlos und ohne dokumentiertes Geburtsdatum -- für Koreaner eine Schmach, da beides in ihrer Kultur von großer Bedeutung ist -- wurde sie als Kind eines US-Soldaten und einer Koreanerin zur sofortigen Unperson erklärt. Schon die Eröffnungsszene, in der die beiden Dorfführer in die Wohnung von Mutter und Tochter eindringen, ist brillant geschildert. Vor einer Buddhastatue betend, hatte sich Kims Mutter auf ihr Schicksal vorbereitet. Anschließend versteckte sie die Kleine in einem Bambuswäschekorb. Was nun folgt, entzieht sich westlichen Moralbegriffen gänzlich: In seinem Bambusversteck wird das Kind Zeuge, wie sein Großvater und sein Onkel der Mutter eine Schlinge um den Hals legen und sie zu Tode strangulieren. Das honhyol -- das Bastardkind -- erlebte eine sogenannte "Ehrentötung", mittels der die Schande, die die Mutter über die Familie gebracht hatte, getilgt werden sollte. (Diese "Ehrentötung" führte zu ersten Kontroversen. In einem Bericht aus den "Asian Week Archives" bezeugen mehrere Korea-Experten, von einem solchen Ritual niemals gehört zu haben, in der Tat fände man diese uralte "Bestrafungsform" ausschließlich in moslemischen Staaten). Nach ihrer Verbringung in ein Waisenhaus in Seoul erfolgt Kims Adoption durch ein amerikanisches Missionarsehepaar. Prompt wird sie zum Opfer neuerlichen Glaubenswahns. Die Schilderung des Lebens im fundamentalistischen Christenhaushalt gerät Kim merkwürdig holzschnittartig; zuweilen beschleicht einen das Gefühl, bei den diversen Bestrafungsszenarien hätten einschlägige Filme Pate gestanden. Gänzlich spekulativ in ihrem erzählerischen Spannungsaufbau wirken auch die brutalen Sexsequenzen aus dem Eheleben mit einem geifernden Rassisten, aus dem sich Elizabeth Kim gemeinsam mit ihrer Tochter schließlich befreien konnte. Ein spannendes Leben, das betroffen macht. Noch betroffener allerdings wäre ein Leser, dessen Mitleid durch eine Falschschilderung erheischt wurde - siehe Der Fall Wilkomirski. Ein schwerwiegender Vorwurf, gewiss. Doch die Diskussion um "Fakt oder Fiktion?" wird andauern.
Rezension
Personen: Kim Elizabeth Mill Maria ª
Kim Elizabeth:
Weniger als nichts : Ein Frauenschicksal zwischen Osten und Westen. - München : Blessing, 2001. - aus dem Amerikan. übers.
ISBN 978-3-89667-115-8
Romane, Erzählungen, Novellen - Signatur: DR Kim - Buch