Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Cornelia Gstöttinger; Frausein heute ein ehrlicher Blick auf einen Familienalltag, ein zorniger Roman voller Wucht, Wut und Schmerz. (DR) Helene steht beim Abendessen vom Tisch auf und springt vom Balkon, lässt ihre drei Kinder und einen überforderten Ehemann zurück. Wie erschöpft diese Frau, wie fordernd ihr Alltag, zugespitzt noch durch die Pandemie, war, hat niemand bemerkt oder ernst genommen. Nun ist sie fort, mit wenigen Schritten und einem Sprung aus zwölf Metern Höhe aus ihrem Leben verschwunden, ohne sich umzublicken. Wie Helenes 15-jährige Tochter Lola und Helenes beste Freundin Sarah mit diesem Verlust umgehen, das schildert die österreichische Autorin Mareike Fallwickl in ihrem intensiven neuen Roman. Für die tiefe Verletztheit der Hinterbliebenen, deren Trauer und Wut angesichts der Unfassbarkeit des Geschehenen findet sie starke, auch sehr poetische Worte. Nach und nach schält sich aus dem abwechselnd aus Lolas und Sarahs Perspektive verfassten Text das Bild eines Frauenlebens heraus, einer liebevollen Mutter, die mit der Fürsorgearbeit allein war, die nicht jammerte, Chaos und Überforderung mit Galgenhumor nahm. Warum nur fällt so vieles erst auf, wenn da eine Lücke ist? Wenn da plötzlich keine mehr da ist, die sich kümmert? Fallwickl greift viele feministische Themen auf, die Frauen unterschiedlicher Generationen umtreiben und aufreiben. Brutal ehrlich und unglaublich authentisch schreibt sie von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, dem Ungleichgewicht bei der Care-Arbeit, von mental load, von all den kleinen Beobachtungen, die wir in unserem Alltag machen und oft unkommentiert lassen. Wie gut es tut, dass endlich so echt davon erzählt wird! Unfassbar, wie sich dieser Familienvater nach dem Tod seiner Frau aus dem Familienalltag ausklinkt und stattdessen die an einer Magersucht knapp vorbeischrammende, wissbegierige Teenager-Tochter in die Rolle der Kümmerin drängt. Wie es ihm zupass kommt, dass Helenes beste Freundin bei ihnen einzieht, monatelang den Haushalt führt und die Kleinkinder versorgt. Berührend, wie sie, die erfolgreiche Autorin und kinderlos, mit einem Mal die zermürbende Last dieser Fürsorgearbeit kennenlernt und merkt, wie sehr man dabei an seine Grenzen gelangt. Und dass es immer noch ein Tabu ist, zu bekennen, wie erschöpfend so ein Alltag ist. Denn wie zugeben, dass man sich das einfacher vorgestellt hat? Das Kinderhüten, das macht doch jede mit links. Lola und Sarah, zwei sehr interessant gezeichnete Figuren: Sie beide finden einen Weg aus der Trauer, stützen einander, reflektieren, wie sie leben wollen, und ergreifen, die eine radikaler als die andere, die nötigen Mittel dazu. Ein aufwühlender, gut geschriebener Roman, der Diskussionen anstößt über das Rollenmodell von Mann und Frau und wie man es aufbrechen könnte, um nicht wie Helene Opfer dieses »Systems« zu werden. Ein Buch, das wehtut, wehtun muss, um aufzurütteln. Unbedingt einstellen, lesen und darüber sprechen sehr empfehlenswert für alle Büchereien! Und, ja, die Wut, die bleibt!
Rezension
Personen: Fallwickl, Mareike
Fallwickl, Mareike:
¬Die¬ Wut, die bleibt : Roman / Mareike Fallwickl : Rowohlt, 2022. - 372 Seiten
ISBN 978-3-498-00296-1 EUR 22.70
Belletristik - Signatur: Belletrist Fal - Buch