Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html)
Autor: Karl Krendl;
Lesenswerte Autobiografie des Schriftstellers Felix Mitterer. (PL)
Dass Mitterer unter schwierigen Umständen in Tirol auf dem Land aufwuchs, von einem aufmerksamen Pädagogen gefördert wurde, die Lehrerbildungsanstalt abbrach, beim Zoll arbeitete und dann kündigte, um sich fortan ganz dem Schreiben zu widmen - davon 15 Jahre in Irland - ist weithin bekannt, weniger hingegen dessen Aktivitäten als Schauspieler und Sänger sowie die Beziehung zu seiner 2017 verstorbenen Ex-Frau Chryseldis, die er anrührend und diskret beschreibt. Mitterer findet die Umstände seines Aufwachsens nicht ungewöhnlich, wohl aber, dass er daraus "gerettet" wurde und damit den Weg des Schriftstellers beschreiten konnte. Zum Glück! Denn mittlerweile hat er 50 Theaterstücke, 6 Hörspiele und 30 Drehbücher geschrieben und viele Theaterprojekte (z.B. Volksschauspiele in Hall und Telfs) verwirklicht, von deren Entstehung - und meist positiver Akzeptanz - Mitterer ausführlich berichtet, ohne erfahrene Ablehnung oder Niederlagen auszublenden. Dabei erwähnt er dankbar auch jene Menschen (an die 700 finden sich im Personenregister), die ihn herausforderten, inspirierten oder unterstützten.
Die 500 Seiten starke Autobiografie eröffnet so nicht nur Einblicke in das Schaffen eines bedeutenden und nunmehr 70-jährigen Schriftstellers, sondern sie ist zugleich ein "Werk der österreichischen Theater- und Fernsehgeschichte" (M. Forcher), versehen mit einem ausführlichen Werkverzeichnis und zahlreichen Schwarzweißbildern.
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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Joachim Gatterer;
Das Leben eines Volksschriftstellers
Felix Mitterers Autobiographie
Vom Bestsellerautor B. Traven, der zu Lebzeiten nur unter seinem Pseudonym bekannt war, ist die Behauptung überliefert, ein Schriftsteller habe ausschließlich über seine Werke in Erscheinung zu treten. Felix Mitterer verbarg seine Identität zwar nie hinter einem Pseudonym, doch inszeniert sich auch er in Österreich längst zum Klassiker aufgestiegen stets mit betonter Zurückhaltung. Wenig verwunderlich, dass er seine 500 Seiten starke Autobiographie, die pünktlich zum 70. Geburtstag erschienen ist, mit einer Untertreibung überschreibt. Was Mitterer als seinen Lebenslauf tituliert, ist nämlich weit mehr als eine chronologische Aufzählung mehr oder weniger bedeutender Ereignisse aus seinem Leben. Es ist die Geschichte einer Emanzipation, vom Landarbeiterkind zum Schriftsteller, ergänzt um Hintergründe und Anekdoten zu annähernd 90 Mitterer-Werken, die im Theater inszeniert, in Radio und Fernsehen ausgestrahlt oder in Buchform gedruckt wurden. Mitterers Lebenslauf ist sozusagen eine literarische Bio-Enzyklopädie.
Lesenswert ist das Buch vor allem deshalb, weil es detailreich belegt, dass Schriftstellerkarrieren selten vorgezeichnet sind. Von der Stiefmutter mit Prügeln erzogen, die Schule vorzeitig abgebrochen, landete der Bub vom Land vorerst als Büroangestellter beim Innsbrucker Zoll; erst 1978, im Alter von 30 Jahren, gelang dem bis dahin in seiner Freizeit schreibenden Mitterer der endgültige Befreiungsschlag. Mit der Uraufführung seines ersten Theaterstücks Kein Platz für Idioten, in dem er auch als Laiendarsteller auftrat, legte Mitterer traumatische Kindheitserlebnisse ab: »Ich spielte mich selber. () [A]ls Kind, das sich so oft ausgestoßen und wehrlos und schlecht behandelt gefühlt hatte.« Das Stück über die Ausgrenzung eines behinderten Buben verschaffte ihm ein einjähriges Theaterengagement in Wien und damit einen letzten Anreiz, um den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen.
Die Darstellung seines weiteren Lebenswegs dehnt Mitterer streckenweise zu einer Kulturgeschichte des Theater- und Literaturbetriebs aus, indem er immer wieder Kurzporträts von Weggefährten einstreut vom Schauspielerpaar Hans Brenner und Ruth Drexel, dem Musiker Werner Pirchner oder dem bizarren »Mundartrocker« Friedl Brehm. Dabei wird ein zweites Mal deutlich, dass Privates und Berufliches im Leben eines Schriftstellers letztlich fließend ineinander übergehen. So begegnete Mitterer in den Monaten seines künstlerischen Durchbruchs des Jahres 1978 auch der Malerin Chryseldis Hofer, seiner Partnerin fürs Leben, die 2017 tragisch ums Leben kam. Indem er ihr schwieriges Aufwachsen, die Geburt der gemeinsamen Tochter Anna bis hin zum Zerbrechen der Ehe ungeschminkt nachzeichnet, bewahrt Mitterer in seinen Memoiren das Andenken an sie auf berührende Art und Weise.
Gerade weil er Negatives nicht ausspart, gelingt es Mitterer in vielen seiner Werke wie in seiner Autobiographie, die Sympathie seiner Leserinnen und Leser zu gewinnen. So gesteht er auch hinsichtlich seines Schreibens freimütig manchen Fehltritt. Mehrfach habe er einen »ziemlichen Kas« verfasst; sein zweites Stück Veränderung zog er bald nach der Uraufführung zurück. Der von Mitterer verehrte Schauspieler Manfred Krug habe ihm 1994 als Reaktion auf sein erstes Tatort-Manuskript sogar schriftlich mitgeteilt, wenn er (Mitterer) etwas nicht schreiben könne, dann seien es Krimis.
Die gesammelte Werkschau liest sich in Summe trotzdem wie eine Erfolgsgeschichte. Erstaunlich daran ist, wie früh und wie intensiv Mitterer im Theater- und Filmgeschäft vernetzt war. Viele seiner Hörspiele und Drehbücher entstanden bereits ab den frühen 1980er-Jahren auf Anfrage. Mit den von Kurt Weinzierl initiierten Tiroler Volksschauspielen entwickelte sich unter Mitwirken Mitterers zeitgleich eine Theaterinstitution, in der sich Mitterer als Autor früh konstant verwirklichen konnte. Zwei Skandale katapultierten ihn schließlich zu österreichweiter, später übernationaler Bekanntheit: 1982 entfachte Mitterer mit dem religionskritischen Volksstück Stigma massive Gegenproteste, die dem Stück einen unerwarteten Publikumserfolg bescherten. 1991 stach er mit der TV-Satire Die Piefke-Saga in ein noch größeres Wespennest und wieder mündeten hitzige Diskussionen (diesmal über Sinn und Unsinn des Massentourismus) am Ende in ein allgemeines Gefühl der Befreiung.
In der Rückschau beeindrucken nicht nur Mitterers größte Publikumserfolge, sondern vor allem die enorme Fülle und stilistische Bandbreite seines Schaffens. Unter seinen Publikationen finden sich neben klassischen Theaterdramen, Hörspielen, Filmen und Übersetzungen auch mehrere TV-Krimis, das Zaubermärchen Drachendurst (1986) und das Kinderbuch Superhenne Hanna, mit dem Mitterer 1977 erste Weichen für seine Schriftstellerkarriere stellte. Inhaltlich bearbeitete er neben brisanten zeitgenössischen Themen vorwiegend historische Stoffe, wobei er Ereignisse (etwa die Umsiedlung der Südtiroler in Verkaufte Heimat, 1989) und Protagonisten (z.B. die titelgebende Figur des Stücks Geierwally, 1993) häufig der Tiroler Landesgeschichte entlehnte. Mehrfach adaptierte Mitterer auch literarische Werke anderer Autoren für Film oder Theater wie beispielsweise Peter Roseggers Erdsegen (1984), Marie von Ebner-Eschenbachs Krambambuli (1998) oder Friedrich Torbergs Der Schüler Gerber (1999). Kennzeichnend für viele von Mitterers Werken ist die Inspiration an einer realen Konfliktsituation, die er dramaturgisch ausformuliert, um sie solcherart einer Auflösung zuzuführen. Diese Herangehensweise führte ihn Jahre nach der Uraufführung von Kein Platz für Idioten für die Arbeiten zum Stück Mein Ungeheuer (2001) nochmals zur eigenen Familiengeschichte zurück und 2002 in die Bukowina, die Heimat seines leiblichen Vaters, dessen Identität er erst als Erwachsener in Erfahrung bringen konnte.
Trotz seines ausgeprägten Interesses für alles Zwischenmenschliche verortete Mitterer den Schriftsteller schon 1993 als Solitär. »Er gehört im Grunde nirgends dazu, sitzt immer zwischen allen Stühlen. () Er ist letztlich heimatlos. Und mehr als jeder andere Mensch hat er oft Sehnsucht nach Heimat und sucht sich die Heimat schreibend zurückzugewinnen.« Seine Autobiographie lebt auch von den Stimmungsbildern, die Mitterer für solche Befunde nachliefert. Im feucht-stürmischen Irland, wo er in den Jahren von 1995 bis 2010 lebte und »meistens bis sechs Uhr morgens« schrieb, will er die Einsamkeit durchbrochen haben, indem er sich nach getaner Arbeit das TV-Wetterpanorama für Tirol ansah. »Im Außerfern trat jeden Morgen ein Mann vor die Hütte, schaute sich um, schaute auch zur Kamera. Einmal musste er mich entdeckt haben, denn er winkte mir.«
Personen: Mitterer, Felix
Mitterer, Felix:
Mein Lebenslauf. - Innsbruck : Haymon, 2018. - 527 S. -
ISBN 978-3-7099-3425-8
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR - Buch