Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html)
Autor: Ingrid Kainzner;
Knappe, aber sehr fundierte und vor allem anregende Einführung in das Leben Rosa Luxemburgs und die erstaunliche Aktualität, die ihre und Hannah Arendts Gedanken nach wie vor haben. (GP)
Rosa Luxemburg wurde 1871 im russischen Teil Polens geboren. Schon als Fünfzehnjährige schloss sie sich der sozialistischen Arbeiterbewegung an und beteiligte sich später an der russischen Revolution. Sie musste fliehen und begann in Zürich ein Studium der Philosophie, Ökonomie und Rechtswissenschaft, das sie mit summa cum laude abschloss. Ihr Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung führte sie quer durch Europa und brachte sie immer wieder ins Gefängnis. Am 15. Jänner 1919 wurden sie und ihr Mitstreiter Karl Liebknecht in Berlin ermordet. 2018 notiert die Autorin Joke J. Hermsen: "Dass ein Volksaufstand immer unerwartet geschieht, lernte ich in diesem Spätsommer von Rosa Luxemburg und den französischen "Gelbwesten". Massive Proteste werden selten von oben gesteuert, sondern entstehen meist von unten, aus der Bevölkerung selbst heraus". Für Rosa Luxemburg war die freie Meinungsäußerung ein unantastbares Gut, eine "verordnete" Revolution hielt sie für absurd. In ihrem Text über "Die russische Revolution" kritisierte sie Lenin, dem sie vorwarf, diese Freiheit geopfert und durch dogmatische Regeln und bedingungslose Treue zur Partei ersetzt zu haben.
Luxemburg war eine hinreißende Rednerin, analytisch brillant und voller Enthusiasmus. Eigentlich wollte sie Botanikerin werden, doch der Kampf für eine gerechte Welt war ihr wichtiger. Aus ihren warmherzigen und temperamentvollen Briefen, die zu den schönsten Briefwechseln des zwanzigsten Jahrhunderts gehören, spricht eine unbändige Lebenslust und ein großes Interesse für Kunst, Literatur, Pflanzen und Tiere. Hermsen meint, dass es schwierig ist, sich etwas vorzustellen, woran Rosa Luxemburg nicht interessiert war. Ihre knappe, aber unheimlich lebendige Einführung ins Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau auf nur 136 Seiten ist eine nicht geringe Leistung. Ein wenig irreführend sind Cover und Titel des Buches, die zu der Annahme führen, dass es um die Darstellung Rosa Luxemburgs und Hannah Arendts geht. Arendt kommt allerdings hauptsächlich als Bewunderin bzw. Wiederentdeckerin Luxemburgs zu Wort. Aus Arendts Werk "Men in Dark Times" spricht eine große Geistesverwandtschaft: "Die Welt wird finster, wenn Menschen keine gemeinsame Verantwortlichkeit mehr spüren, sich nur noch um ihre individuellen Belange kümmern und dem Bereich der Politik derart misstrauen, dass sie ihm den Rücken zukehren." Die Gefahr einer solchen Entpolitisierung wird von Arendt auch "Weltlosigkeit" genannt, die aus ihrer Sicht fast immer in die Barbarei mündet. Die Frage ist, inwieweit wir wieder in finsteren Zeiten zu landen drohen, nun da Nationalismus und Xenophobie überall aufs Neue das Haupt erheben und das Vertrauen in die politischen Institutionen immer mehr abnimmt. Dieser Befund kann aktueller kaum sein, auch deswegen eine ganz große Empfehlung für "Rosa und Hannah."
Personen: Hermsen, Joke J. Busse, Gerd
Hermsen, Joke J.:
Rosa und Hannah : das Blatt wenden. - Berlin : Verlag Klaus Wagenbach, 2021. - 140 S. -
ISBN 978-3-8031-1358-0
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR - Buch