Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Klaus Zeyringer; Lebensgefühl im Fallen Friederike Gösweiners Debüt "Traurige Freiheit" Eine junge Frau zieht wegen einer Möglichkeit beruflichen Einstiegs weit weg. Die heute gewöhnliche Situation nimmt Friederike Gösweiner, die als freie Lektorin sowie Journalistin in Tirol lebt und sich insbesondere intensiv mit der Sprachkunst von Alois Hotschnig beschäftigt hat, zum Ausgangspunkt ihres Romanerstlings Traurige Freiheit. "Dann hat das wohl keinen Sinn mehr", sagt ihre Protagonistin Hannah, der die personale Erzählung ganz nah folgt, im ersten Satz. Sie meint konkret das Leben mit Jakob. Er sieht als Assistenzarzt auf der Kinderstation seinen Weg ebenso deutlich wie langfristig vorgezeichnet, sie sieht ihren im Volontariat bei der Zeitung in Berlin. Eine übliche Debatte: Was ist wichtiger, Beziehung oder Beruf? "Aber es ist eine Wahnsinnschance für mich, verstehst du? Von dreihundert Bewerbern haben sie acht genommen. Nur acht! Und ich bin dabei." Karriere ist Auswahl. Den Hintergrund dieser scheinbar einfachen Geschichte bilden aktuelle Zustände, die gängige Diskurse gegeneinander ausspielen und die junge Generation in die Enge treiben. Leistung und Bildung mache sich bezahlt, heißt es; dabei ist ein akademisches Prekariat der Hungerlöhne und der Kurzfristigkeit entstanden. Man habe in dieser Gesellschaft alle möglichen Chancen und Freiheiten, vor allem des Unternehmens; dabei schaut das eher nach Tretmühle oder Hamsterrad aus. Es gehe um Sicherheit, betont man; dabei sind gesicherte Arbeitsverhältnisse selten. Der Mensch solle sich selbst verwirklichen, lautet ein Schlagwort; dabei steht dem die Wirklichkeit entgegen, in der Hochgebildete Löhne bekommen, die nicht zum Leben reichen. In diese Zwickmühle lässt Friederike Gösweiner die 29-jährige Hannah geraten und - den gesellschaftlichen Diskursen der Verdeckung und der Selbstüberlistung gemäß - das Prekariat mit 500 Euro im Monat als Chance begreifen. Zuvor hatte sie sich ihre Zukunft kaum anders vorgestellt als mit Jakob. Sein Vorschlag, er könne ja eine Zeitlang für sie beide sorgen, zerbricht an ihrem Anspruch, die eigenen Möglichkeiten zu nutzen. Hannah hat ihr Zeitgeschichte-Studium abgeschlossen, sich oft und oft beworben. Sie will als Journalistin reüssieren und schlägt den heute üblichen Weg ein, der mit Praktika, Volontariaten, Projekten immer am Rande des Existenzminimums verläuft, wenn nicht gar darunter. Nach einem halben Jahr geht die Arbeit bei der Zeitung zu Ende, entgegen aller Bemühungen und Hoffnungen folgen daraus keine weiteren Chancen. In Berlin bleibt Hannah trotzdem. In gelernter Manier macht sie sich vor, man müsse geduldig wie hartnäckig dranbleiben. Sie sitzt in der Staatsbibliothek, bis sie schließlich als Kellnerin unterkommt. "Wenn schon ihr Studium zu nichts gut gewesen war, dann wenigstens ihr Studentenjob", denkt sie. Ihr Sozialleben beschränkt sich auf das Virtuelle, auf gelegentliche Kurzkommunikation mit Jakob, den sie doch vermisst, und vor allem auf tägliche Mails, SMS, Skypegespräche mit ihrer einzigen Freundin Miriam. In deren Berliner Wohnung ist Hannah eingezogen, denn Miriam treibt ihrerseits die Karriere bei einem Sender voran, als Korrespondentin in Moskau (auch sie wird eine herbe Enttäuschung erleben. Ein Tor der Hoffnung tut sich für Hannah auf, als sie ein bekannter Journalist anspricht. Aber wie alles bleibt auch diese Möglichkeit zunächst in der Schwebe. Friederike Gösweiner schafft geradezu eine exemplarische Sozialstudie. Die Schwierigkeiten der Generation junger gebildeter Frauen verdichtet sie in der Romanform, die sie meist wohltuend unpathetisch zu gestalten versteht, nicht als These, sondern als Erzählung. Den gesellschaftlichen Hintergründen widmet sie keine langen Erklärungen, sie erstehen aus den Situationen, die wiederum in ein paar präzisen Beobachtungen plastisch vor Augen treten. Ebenso knapp und eindringlich ist die Motivik eingesetzt, besonders das Leitmotiv des Fallens, das bis in die Träume verfolgt. Wie viele junge Autorinnen lässt Gösweiner ihre Protagonistin auf der Suche nach einem Ort für das unklare Ich durch Stadt und Landschaft streifen. Sie gibt sich aber weder einer Metaphernsucht, noch kitschigen Befindlichkeiten, noch einem Untergangsszenario hin. Vielmehr erzählt sie gegen herrschende Diskurse: "Als Hannah jünger war, hatten alle Erwachsenen immer gesagt, sie sei glücklich, gehöre zu einer Generation, der alle Wege offenstünden. Man könne alles werden, alles sein, hieß es, alles sei möglich, das sei die totale Freiheit." Hieß es! Die Traurige Freiheit vermittelt der Roman in der Direktübertragung einer konzentrierten Prosa, die Fragezeichen setzt, um den Phrasen die Realität vorzuhalten: "War sie nicht gut genug? Aber warum hatte man ihr das dann nie gesagt, nicht während des Studiums und nicht bei den Zeitungen, für die sie bisher gearbeitet hatte? Lag es an ihr?" Solche Fragen müssen kommen, wenn man einerseits Chancengleichheit als Studium für alle, die Idee vom besseren Menschen als prinzipiell bildungserfolgreich auffasst, jedoch den Arbeitsmarkt restriktiv und undurchsichtig gestaltet. Kriterien in Schule und Universität sollen transparent sein - für den Job sind sie es nicht. Als Hannah sich für eine "Lehrredaktion" bei der größten Tageszeitung Berlins bewirbt, bleiben die Gründe der Auswahl völlig im Dunkeln. Derart fördert unsere Gesellschaft brave Angepasstheit, die ihren Namen nicht sagt. Hannah glaubt, als Journalistin sei sie zu einer kritischen Position angehalten, aber "sich jetzt zu exponieren, schien ihr doch zu gefährlich". Sie meint, dass "jedes Wort, jede Antwort, die man gab, die Chance bot, sich zu profilieren, in jedem Wort, in jeder Antwort gleichzeitig aber immer auch die Möglichkeit lag, sich selbst zu schaden. Es gab kein Richtig und kein Falsch in einem Gespräch". Folglich: "sicher durfte man sich nie sein". Die Ablehnung erfolgt in Formeln, dazu das zynisch klingende "Alles Gute für die berufliche Zukunft". Auch Stein, der bekannte Journalist, der Hannah anspricht, seltsam anflirtet und zugleich Hoffnung wie Ungewissheit vermittelt, redet nicht anders als phrasenhaft über Karrieren: "Am wichtigsten ist es, präsent zu sein in der Szene, sich selbst im Spiel zu halten. Das Figurengerede bleibt oberflächlich, also realistisch. Konkret zeichnet Gösweiner innere Zustände von Hannah und deren Beobachtungen, in der Bibliothek und der U-Bahn, Vogelgezwitscher im Wind, Gewühl im Kleiderladen, ein weinendes Mädchen nach einem Sturz Nur in wenigen Passagen erscheinen die inneren Bewegungen und die Überlegungen doch etwas simpel. Und an einer Stelle knirscht die Logik der Erzählung. Abrupt beginnt das fünfte der neun Kapitel: "Stein trat völlig unvermittelt in Hannahs Leben." Auf der folgenden Seite jedoch steht: "Sie kannte Stein schon, bevor er sie ansprach", denn er war zuvor einige Male ins Café gekommen. Auch sprachlich wirkt der Roman sehr beherrscht. Bis auf die neuerdings in so vielen literarischen Werken störende Verwendung unnötiger "irgend-" - was bringt es zu erfahren, dass jemand auf dem Waldweg "irgendwann" zu einer Lichtung kommt, dass aus einem Lautsprecher "irgendeine" Musik tönt? Friederike Gösweiner ist jedenfalls nicht irgendein Roman gelungen, sondern ein hochinteressantes Debüt, ein Sprachkunstwerk, das viel über unsere Gegenwart aussagt, das Lebensgefühl einer Generation im Wechsel von Hoffnungen und Abgrundängsten vermittelt. ---- Quelle: Pool Feuilleton; Das hat die Freiheit so an sich: Wenn man sich nach ihr sehnt, ist sie unendlich hell und freundlich, wenn sie da ist, wird sie manchmal dunkel und bissig. Friederike Gösweiner konfrontiert in ihrem Roman die Heldin Hannah mit jener traurigen Freiheit, die sich oft einschleicht, wenn man das Leben mit Gewalt verändert. Hannah geht auf den dreißigsten Geburtstag zu, sie lebt mit Jakob in einer unaufgeregten Partnerschaft und segelt irgendwie geräuschlos durch den Alltag. Da tut sich plötzlich die Chance auf, in Berlin ein Volontariat für Journalismus anzunehmen. Jakob ist nicht begeistert von dieser Idee, er möchte auch nicht nach Berlin mitgehen, wiewohl er als Arzt vielleicht eine Stelle bekäme. So macht sich Hannah fast trotzig auf den Weg nach Berlin und findet in der Wohnung einer Freundin Unterschlupf, die ihrerseits gerade in St. Petersburg jobbt. Berlin ist an grauen Tagen grau und an nassen Tagen nass, die Arbeit als Journalistin ist durchaus interessant, leidet aber an der Perspektivlosigkeit, weil sie befristet ist. Wenn man nicht heimisch ist, macht einen auch die Arbeit nicht heimisch. Als das Volontariat zu Ende ist, arbeitet die Heldin als Kellnerin. Einmal trifft sie einen interessanten Mann, der ihr die große Freiheit vorgaukelt, dann aber auf getrennte Rechnung besteht und sich in allen Belangen als Kleinkaliber erweist. Wenigstens seine Parole ist knackig: "Je härter die Zeiten, desto brutaler der Kampf." (77) Höhepunkt dieses Herumhängens ist der dreißigste Geburtstag, an dem Hannah von ihren Eltern ein paar Geldscheine erhält, weil sie ohnehin verdienstunfähig ist, und von ihrem stillgelegten Liebhaber Jakob gibt es ein paar Erinnerungsfotos, die ziemlich zukunftslos wirken. Mitten in der großen Freiheit Berlins kollabiert Hannah und wird ohnmächtig. Die Eltern holen sie aus der Klinik ab und das Abenteuer Berlin dürfte beendet sein. Dieses Dahindriften der Heldin zwischen SMS, Coffee to Go, Gelegenheitsjob und Autosuggestion als Zeitvertreib entlarvt den großen Begriff der Freiheit. Ernüchtert stellt die Heldin fest, dass Freiheit auch ein riesiges schwarzes Loch sein kann, das sich plötzlich über einen stülpt. In einer Gesellschaft, in der ganze Generationen von der Teilhabe am Sinn ausgeschlossen und an den Rand gedrängt werden, purzeln auch die Protagonisten der Reihe nach ins Nichts. Vor allem behütete und voll pädagogisierte Individuen kippen manchmal in die Ohnmacht, wenn niemand mehr ihre genialen Züge würdigt, weil sie irgendwann dann doch aus der Kindheit verstoßen werden. - Eine beklemmende Analyse sinn-prekärer Lebensverhältnisse. Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Gösweiner, Friederike
Gösweiner, Friederike:
Traurige Freiheit : Roman / Friederike Gösweiner. - Graz : Droschl, 2016. - 134 S.
ISBN 978-3-85420-976-8
Belletristik allgemein - Signatur: D0 Gös - Buch