Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Ingrid Kainzner; Die Begegnung mit einer geheimnisvollen Frau verändert das Leben eines Managers nachhaltiger, als er es sich jemals vorstellen konnte. (DR) Dem jungen Manager Sixten Braun, der gerade in Taiwan auf Geschäftsreise weilt, widerfährt ein bizarrer Unfall - er wird von den explodierenden Gedärmen eines Pottwals, der auf der Straße transportiert wird, so schwer verletzt, dass er im Spital landet. Dort aufgewacht, verliebt er sich in die geheimnisvolle Ärztin Lana, mit der er eine kurze, aber sehr heftige Liebe erlebt. Wieder zurück in Deutschland, verliert er seinen Job und arbeitet fortan als Bademeister in Stuttgart. Nach einigen Jahren erreicht ihn ein seltsamer Anruf aus Taiwan: Er möge seinen mutmaßlichen Sohn, dessen Mutter die mittlerweile verstorbene Ärztin Lana ist, zu sich nehmen. Als das Kind, Simon, in Deutschland ankommt, ist klar, dass Sixten nicht der Vater sein kann, hat das Kind doch eindeutig asiatische Gesichtszüge. Dennoch adoptiert er den Buben, der eine seltsame, nur ihm verständliche Sprache spricht. Es entsteht eine innige Vater-Sohn-Beziehung, in die auch Sixtens Freundin miteinbezogen wird. Auf einer Reise nach Tirol geschehen seltsame Zwischenfälle, die mit Sixtens in den Bergen verunglückter Schwester, aber auch mit Simons leiblichem Vater zu tun haben. Gibt man den Inhalt des Romans wieder, scheint es, als hätte der Autor allzuviel hineingepackt. Doch Heinrich Steinfest hat mit so großem Geschick die Handlungsstränge ineinander verwoben, dass selbst sehr skurrile und teilweise märchenhaft anmutende Ereignisse vollkommen natürlich erscheinen. Man ist von der ersten Seite an mitten im Geschehen und gewinnt den sympathischen Protagonisten immer lieber. Am meisten aber berührt die Schilderung der Vater-Sohn-Beziehung, ganz ohne Emphase, doch mit sehr viel Wärme. "Der Allesforscher" ist ein rundum geglückter Roman, spannend, sehr witzig und voller Menschlichkeit, sehr zu empfehlen. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Rainer Moritz; Der Bademeister und das Kind Heinrich Steinfests Roman "Der Allesforscher" Wer Heinrich-Steinfest-Bücher liest, weiß, worauf er sich einlässt, und darf sich hinterher nicht beschweren. Der 1961 in Australien geborene, in Wien aufgewachsene und seit langem in Stuttgart lebende Autor gehört zu den schillerndsten, unangepasstesten Gestalten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Nicht wenige Vertreter des hochoffiziellen Literaturbetriebs können mit seiner Sprach- und Ideengewalt wenig anfangen, schieben ihn in die Nonsense-Ecke und übergehen ihn konsequent, wenn es gilt, Shortlists zusammenzustellen oder Preise zu verleihen. Berühmt wurde Steinfest durch seine Kriminalromane, die zeigten, dass es nicht Wolf Haas allein überlassen ist, die österreichische Spielart des Genres skurril zu beleben und zu erweitern. Um den Plot seiner Bücher voranzutreiben, braucht es keiner schaurigen Mordfälle oder eigenwilliger Detektive. Wo Steinfest Regie führt, geschehen Dinge, die nur geschehen, wo Steinfest Regie führt. Sixten Braun, die Hauptfigur im neuen Roman Der Allesforscher erlebt - wir schreiben das Jahr 2004 - eine Abfolge unwahrscheinlichster Katastrophen. Als erfolgreicher Manager wird er im südlichen Taiwan Opfer eines durch die Straßen transportierten Pottwals. Genauer gesagt explodiert das Tier, und eine durch die Luft sausende Niere streckt den verblüfften Manager zu Boden und zwingt ihn zu einem Krankenhausaufenthalt. Bei dem er sich prompt in die deutsche Ärztin Lana Senft verliebt, die die Vorliebe hat, beim Sex die Kleider anzubehalten. Doch wie es sich für einen solchen Roman (dessen Handlungsvolten hier nicht einmal ansatzweise wiedergegeben werden können) gehört, findet diese Liebe keine Erfüllung: Als er zu Lana zurückkehren will, entgeht Sixten bei einem Flugzeugunglück knapp und dramatisch dem Tod, wenn auch auf Kosten seines Nebensitzers. In der Folge überschlagen sich die Ereignisse: Sixtens Arbeitgeber schiebt seinen das Unglück anziehenden Mitarbeiter aufs Abstellgleis, und das Wiedersehen mit Lana findet nicht statt, findet nie statt, da die Ärztin ein Jahr später einer schweren Krankheit erliegt. Steinfests Roman Der Allesforscher überschlägt sich in diesen natürlich nicht nach Wahrscheinlichkeit fragenden Anfangsteilen mit Szenen, die an Witz und Einfallsreichtum kaum ihresgleichen haben. Aufs Ganze gesehen, sind diese freilich nur eine Exposition, denn Sixtens Leben verfolgt - nach einer kurzen, nicht sonderlich erwähnenswerten Ehe - eine ganz andere Richtung. Er gibt sein Managerdasein auf, zieht nach Stuttgart, wo er fortan im legendären Mineralbad Berg als Bademeister arbeitet, und erhält plötzlich von der taiwanesichen Vertretung in Deutschland die Nachricht, dass - sieben Jahre sind inzwischen vergangen - er und Lana ein gemeinsames Kind hätten. Als er in München mit dem Knaben Simon konfrontiert wird, ist sofort zu sehen, dass Sixten nicht der biologische Vater sein kann - was ihn freilich nicht daran hindert, sich um den sich in einem unverständlichen Idiom äußernden Jungen liebevollst zu kümmern. Obwohl Simon kein Interesse zeigt, dem Hürdensprint, einer Leidenschaft des Vaters, nachzugehen, entwickelt sich zwischen beiden ein inniges Verhältnis. Simon zeigt ungeahnte Fähigkeit beim Klettersport und gilt bald als Mozart dieser Disziplin - was für Sixten eine anfangs erschreckende Verbindung zu seiner Schwester Astri herstellt, die einst in den Tuxer Alpen beim Klettern tödlich verunglückte. Zusammen mit Kerstin, Sixtens neuer Liebe, die er in der taiwanesischen Vertretung kennenlernte, machen sie sich nach Innsbruck auf, auf Astris Spuren. Diese alpinen "Szenen zwischen Traum und Wirklichkeit" rühren an die nationalsozialistischer Vergangenheit, lassen Simons Erzeuger, den schwangerschaftsfördernde Cremes herstellenden Auden Chen, und einen Messerwerfer auf den Plan treten und zeigen Simon als "Allesforscher" - ein Begriff, den Autor Steinfest, wie sein Nachwort behauptet, seinem eigenen Sohn verdankt, als dieser ein Synonym für den Universalgelehrten suchte. Steinfests Roman ist ein Fest des Erzählens. Auch wenn der Schlussteil in den Alpen ein wenig zerfasert, gelingt es ihm, unvergessliche Bilder heraufzubeschwören - Sixtens Heldentat im Mineralbad etwa, als er durch einen beherzten Sprung ins kalte Wasser einen Erpel rettet und ihn durch kundige Massagen wieder ins Leben zurückholt. Keine Anthologie mit Tiergeschichten darf künftig auf diese Episode verzichten. Sein den Lesern nicht unvertrautes poetologisches Prinzip gibt Steinfest en passant in Kapitel 27 preis: "Klar, mancher Leser wird jetzt sagen: Bei dem Kerl ist auch gar nichts normal. Und kritisieren, dass ich nicht wie andere Leute einfach mit einem fremden Auto zusammenstoßen kann, sondern mir dazu einen Wal aussuche, dass ich im falschen Flugzeug sitzen muss, dass ich nicht Vater werden kann wie andere auch und ein Ausflug aufs Land bei mir in eine Nazistollengeschichte mündet." Da freilich ist nichts zu machen; normal ist hier wahrlich wenig. Heinrich Steinfest, der vielleicht kinderfreundlichste Autor der Gegenwartsliteratur, lässt seinen Protagonisten nun einmal eine "komplizierte Figur" beschreiben. Einfacher mag es in den Romanen anderer Autoren zugehen.
Rezension
Personen: Steinfest, Heinrich
Steinfest, Heinrich:
¬Der¬ Allesforscher : Roman / Heinrich Steinfest. - 4. Aufl. - München : Piper, 2014. - 397 S.
ISBN 978-3-492-05408-9
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Ste - Buch