Jonas und Leander sind seit ihrer Geburt unzertrennlich. Im selben Krankenhaus zur Welt gekommen, haben die beiden 17-Jährigen ihr Leben Seite an Seite verbracht – und teilen ein großes Geheimnis: Als Sprayer ziehen sie nachts durch Wien, hinterlassen auf Garagen- und Gebäudewänden, unter Brücken und in U-Bahn-Tunneln ihre Graffitis. Immer auch auf der Suche nach der ultimativen Wand für ihr Masterpiece. Brisanz erhält das Ganze dadurch, dass Leanders Vater Polizist ist. Dann verliebt Leander sich Hals über Kopf – und alles verändert sich. Irmgard Kramer („Am Ende der Welt traf ich Noah“, 2015) ist eine Meisterin des mehrdimensionalen Erzählens. Virtuos verknüpft sie Erzählstränge, legt Spuren, streut Indizien. Kein noch so kleiner Fingerzeig, der am Ende nicht von Bedeutung sein wird. In „17 Erkenntnisse über Leander Blum“ operiert die Autorin nicht nur mit zwei Ich-Erzählern, sondern auch mit unterschiedlichen Zeitebenen: Während Leander, der neu in Lilas Klasse ist, rückblickend von gemeinsamen Erlebnissen mit Jonas erzählt, berichtet Lila, die seit Beginn des Schuljahres neben dem schweigsamen, manchmal fast feindlich wirkenden Neuen sitzt, was aktuell geschieht. Nach und nach nähern die Erzählebenen einander an, um schließlich im dramatischen Finale zusammenzukommen. „boys escaping the tunnel – Öl auf Leinwand. 100 x 70 cm“ – den 33 Kapiteln, in denen Leander als Ich-Erzähler fungiert, sind – wie in einer Ausstellung – Titel, Größe und Technik eines Gemäldes vorangestellt, ergänzt durch den O-Ton eines Kunstkritikers, Galeristen, Kunsthistorikers, -sammlers oder -kenners. „Der Künstler ist ein Getriebener, der nur eines im Kopf hat: Den Moment so intensiv wie möglich spürbar zu machen. (Winter Winetzki, Kunstkritikerin)“ Lilas Kapitel folgen dem griechischen Alphabet: von „Alpha – die erste Erkenntnis: Leander Blum riecht nach Terpentin“ bis „Rho – die siebzehnte Erkenntnis: Mit Leander Blum würde ich bis ans Ende gehen“. All das ist anfangs schwierig zu- und einzuordnen, zuweilen verwirrend, aber immer fesselnd zu lesen. Mit Fortschreiten der Geschichte fügt sich dann ein Stück zum anderen. Zunehmend fühlt sich der Leser der Handlung voraus, ahnt, welches Ende das Ganze nehmen wird – und wird doch immer wieder durch Wendungen überrascht. Ein vielschichtiger, packender Roman, für den die Autorin selbst mit der Spraydose in der Hand an der Seite eines jungen Streetart-Künstlers durch Wien gezogen ist. Was vor allem in den Szenen zu spüren ist, in denen Jonas und Leander an ihren Pieces arbeiten. Dann hat der Leser fast das Gefühl, direkt neben den beiden zu stehen, mit ihnen den Geruch von Farben und Terpentin zu atmen.
Personen: Kramer, Irmgard
JE.L Krame
Kramer, Irmgard:
17 Erkenntnisse über Leander Blum / Irmgard Kramer. - Bindlach : Loewe, 2018. - 345 S.
ISBN 978-3-7855-8911-3 fest geb. : ca. € 18,50
Liebe - Buch