Haas, Wolf
Brennerova Roman
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Elisabeth Zehetmayer; Kultfigur Brenner ermittelt wieder. Manchmal ist weniger mehr. Dennoch langweilt Wolf Haas' komische Sprachkunst nie. (DR) Und ob du es glaubst oder nicht, der Brenner ist wieder da! In seinem mittlerweile achten Krimiabenteuer entdeckt der in die Jahre gekommene Exbulle die Schönheit der Russinnen im Internet. Dass die "einheimischen Weiber" auch nicht zu verachten sind, erfährt er in seiner Beziehung mit der resoluten frühpensionierten Lehrerin Herta. Dort wie da wandelt Brenner alsbald auf Freiersfüßen und mitten hinein ins schlimmste Schlamassel, Doppelleben Hilfsausdruck. Während sich Herta auf einer ihrer schamanischen Wanderreisen befindet, bricht Brenner nach Nischni Nowgorod auf, um die liebreizende Nadeshda kennenzulernen. Statt dem ersehnten Liebesabenteuer erwarten ihn dort Schläge, eine Abfuhr sowie ein gefährlicher Auftrag. Verzweifelt bittet ihn Nadeshda, ihre von einem Mädchenhändlerring verschleppte Schwester in Wien ausfindig zu machen. Wieder daheim taucht Brenner in die düstere Welt der Rotlichtmafia ein. Kurz darauf sorgen eine tätowierte Leiche in der Donau, wenig redselige, aber umso zwielichtigere Zeugen, mehrere abgehackte Hände mit rätselhaften Tätowierungen, eine zweckdienliche Eheschließung und eine unerwartete Geiselnahme für allerlei Ärger und amouröse Turbulenzen. Aber pass auf, was ich dir sage. Nach gut 20 Jahren Romanantiheldexistenz kann den schrulligen Ermittler wider Willen kaum was erschüttern, nur der Geruch von Frauentränen, "Nirwana nichts dagegen". Und Brenner ein Frauentränenumfaller, wie er im Buche steht Wo Wolf Haas draufsteht, ist auch Wolf Haas drin. Ungeachtet der längeren Pause, trägt auch dieser Simon-Brenner-Band alle wohlvertrauten Stilmerkmale. Originelle Wortschöpfungen, grotesk übersteigerte Vergleiche, eigenwillige Verknappungen und stereotype Wiederholungen begegnen den LeserInnen wie liebgewonnene alte Bekannte. Ob Internetkontaktbörse, Tätowierungsspruch, Straßenstrich, Stockholmsyndrom, PädagogInnenschicksal, Kraftplatzsuche oder österreichisches Paarverhalten - alles wird aufs Korn genommen. Natürlich darf auch der das Geschehen im freundschaftlichen Ikea-Du-Ton ironisch kommentierende, zukünftige Ereignisse andeutende, anonyme Erzähler nicht fehlen. Er verschafft uns tiefere Einblicke in die weltanschaulichen Abgründe und das Seelenleben seiner karikaturhaft gezeichneten ProtagonistInnen. "Von dem ganzen ding her" ein kurzweiliges, hochamüsantes Lesevergnügen mit viel Galgenhumor, aber einem allzu tollkühnen Handlungsverlauf, Münchhausen frage nicht. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Rainer Moritz; Doppelleben Hilfsausdruck Wolf Haas: "Brennerova" Auch langgediente Kriminalisten kommen in die Jahre und kämpfen mit Alterserscheinungen. Wie Simon Brenner zum Beispiel, der vormalige Polizist, der seit 1996 als freischaffender Ermittler absonder­liche Kriminalfälle unkonventionell aufklärt und fraglos zu den originellsten Figuren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zählt. Mitte vierzig war der häufig an der Verwahrlosungsgrenze agierende Brenner seinerzeit, als er in Auferstehung der Toten auf amerikanische Eisleichen in einem Pinzgauer Sessellift stieß. Fünf weitere Male durfte Brenner danach seinen Spürsinn beweisen, ehe sein Schöpfer wie einst Arthur Conan Doyle die Nase gestrichen voll hatte, sich nicht selbst plagiieren wollte und seinem Helden - in Das ewige Leben (2003) - kurzerhand den Garaus machte. Nein, zu machen schien, denn da es ja nur der merkwürdige, Brenner durchaus kritisch gegenüberstehende Erzähler war, den Haas ins Jenseits beförderte, bestand durchaus eine theoretische Chance auf die Brenner-Wiederkehr. Was dann 2009 durch einen genialen Kunstgriff gelang und zur siebten Folge, zu Der Brenner und der liebe Gott, führte. Zwischendurch - quasi um seiner Krimimüdigkeit entgegenzuwirken - schrieb Haas Romane, die eigentümliche Titel wie Das Wetter vor 15 Jahren oder Verteidigung der Missionarsstellung tragen und ihm hoch angesehene Ehrungen wie den Wilhelm-Raabe-Preis einbrachten. Und um sich davon wiederum zu erholen, wechselt Haas nun wieder die Seiten und lässt Simon Brenner, mittlerweile ein Mann in den Sechzigern, zu neuen Taten aufbrechen wenn ein solches Verb der gesteigerten Aktivität zu diesem Mann passen würde. Keine Frage: Brennerova ist eine würdige Fortsetzung des Brenner-Zyklus und zeigt, ohne jede Ermüdungserscheinung, die Fähigkeit des Autors Haas, Sprachwitz und Fantasie mit unaufdringlicher Gesellschaftsanalyse zu vermischen und den Leser bei Laune zu halten. Altersmilde und Gelassenheit zeichnen Simon Brenner auch im fortgeschrittenen Alter nicht aus. Sein Liebesleben darbt, und weil er Suchtmitteln seit jeher gern erliegt, nimmt er - unter dem Passwort "Brennerova" - Kontakt mit attraktiven Rus­sinnen im Internet auf und lernt - obwohl ihm alle Betrugsmechanismen dieses Metiers geläufig sind - Nadeshda kennen. Als Beruf gibt Brenner in seinem Netzprofil "Kriminalpolizist i.R." an, was Nadeshda prompt als Kriminalpolizist in Regierungsfunktion missversteht, weshalb sie ihn folglich in dringender Angelegenheit um Hilfe bittet. Ihre Schwester Serafina, ein - wie schon der Name verspricht - bildhübsches Model, scheint nach Wien verschleppt worden zu sein, und der gutwillige Brenner scheut sich nicht, gefährliche Recherchen anzustellen. Diese führen ihn ins Rotlichtmilieu und in obskure Tattoo-Studios. Was es mit Ochsen- und Penistätowierungen auf sich hat, gilt es zu enträtseln, wobei Brenner - wir hatten es nicht anders erwartet - für derartige Körperverunstaltungen keinerlei Sympathie hegt: "Wenn ich dann einmal bei der Leichenwäscherin bin, möchte ich nicht, dass die sich Gedanken über meine Bildchen macht." Was im Folgenden geschieht, lässt sich, wie bei einem Brenner-Roman üblich, schwer nacherzählen. Der Ermittler reist nach Russland, was ihm gesundheitlich nicht bekommt, und sieht sich zu seiner Überraschung bald von zwei Frauen umgeben. Denn die Ex-Lehrerin Herta wendet sich Brenner wieder zu, sodass dieser vor einem überraschenden Dilemma steht: "Eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck." Damit nicht genug: Brenner geht eine Scheinehe mit der plötzlich in Wien ihre Zelte aufschlagenden Nadeshda ein, erlebt, wie Herta ihre Persönlichkeit weiterentwickelt, mit einer Gruppe eingefleischter (wenn man so sagen kann) Vegetarier Bildungsreisen in die Mongolei unternimmt, dort Opfer einer Geiselnahme wird, die Simon Brenner - der Mann kommt herum - als Geldbote beenden soll. All diese Fäden verwirren sich zu einem ansehnlichen Krimiknäuel, doch wie stets gelingt es Brenner, Ruhe zu bewahren und die komplexe Auflösung voranzutreiben. Wieder einmal erweist sich Wolf Haas als Einfallskünstler, der en passant österreichische (Sprach-)Eigenheiten wie die Liebe zur "Passt schon"-Wendung aufspießt, die Nicht-Wienern unerklärlichen Usancen im Kaffeehaus erläutert und Szenen erfindet, die man nie mehr vergisst. Wie jene komplizierte Handoperation in einem Spital, als es nur der polyglotten Schwester Anna Elisabeth zu verdanken ist, dass eine dem stümperhaften Chirurgen Seyfried zuzuschreibende Verwechslung abgetrennter Hände nicht zu tragischen Verunstaltungen führt. Allein dieser Episode wegen muss man Brennerova lesen. Dass Wolf Haas seine große Fangemeinde nicht vor den Kopf stößt und dem Erzähler weiterhin seine zu Klassikern gewordenen Sprachmarotten zugesteht ("Verbrecheralbum nichts dagegen", "Und du darfst eines nicht vergessen"), rundet das Bild ab. Wolf Haas ist auch im achten Brenner-Fall at his best, und irgendwie ist es eine tröstliche Vorstellung, dass dieser Detektiv uns zeigt, wozu Senioren fähig sind. Möge ihn die aus der Mongolei unbeschadet zurückkehrende Herta dabei unterstützen. ---- Quelle: Pool Feuilleton; Ehe ein System zu Ende geht, zuckt es noch einmal wie wild auf und wird Post-Etwas genannt. So ist der Post-Kapitalismus noch wilder als der Kapitalismus, und die Post-Krimitis stärker als alle sogenannten Krimis. Wolf Haas ist seit jeher ein Postkrimi-Autor, seine Figuren haben den reinen Kriminalfall stets beiseitegelassen und sich den existenziellen Grundsorgen der Protagonisten zugewendet, egal wie gut oder böse diese auch sind. Die Stammfigur Brenner hat alle Lebenskurven hinter sich gebracht und ist auch schon im Jenseits gewesen. Am aktuellen Bio-Radarschirm ist Detektiv Brenner in Pension, gelangweilt, zwischendurch erotisiert und abgestoßen von den Frauen. Wie bei älteren Herrn üblich spielt Brenner am Internet herum und erstellt ein geschöntes Porträt, für das er als Passwort Brennerova nimmt. Es könnte ja sein, dass eine Russin seine Frau wird, dann müsste sie logischerweise Brennerova heißen. Da Brenner ein Typ ist, bei dem das Unwahrscheinlichste normal ist, während er vor Normalität kaum noch normale Züge aufweist, geht auch die Russinnen-Sache gut aus. Er wird auf dem Weg zum ersten Date in Moskau ordentlich zusammengeschlagen, doch dann kann die anvisierte Brennerova nach Wien kommen um ihre Schwester zu suchen, und eine Scheinehe mit dem Ruheständler ermöglicht den Aufenthalt. Während Brenner auf seine Russin fokussiert ist, ist er längst in die Fänge seiner Freundin Herta geraten, die für Stimmung, Lebensplanung und Hormonausgleich zuständig ist. Herta fädelt immer alles ein, ehe sie in ein schamanisches Kraftfeld in die Mongolei aufbricht. Natürlich darf man als Rezensent auch einen Brenner-Fall nicht im Voraus verraten, aber bei Wolf Haas geht es dermaßen über-logisch zu, dass man eigentlich nichts verraten kann. Das Verrückteste ist geradezu das Normale. So werden zwei Gangster mit abgehackten Händen angeliefert, denen man die falschen Gliedmaßen annäht, wie sich später beim Dechiffrieren der Tattoos herausstellt. Phasenweise übernehmen im Roman die Tattoos die Überhand und erzählen eine ganz andere Geschichte, als es die darin versteckten Figuren wahrhaben wollen. Die Sprache ist überhaupt die Heldin in Wolf Haas' Roman. In einem verdutzten Du-Stil, der sich an Helden wie Leser gleichsam wendet, werden die Ereignisse kommentiert, während sie geschehen. Dieser Stil überwindet auch die üblichen Krimi-Strategien, indem auch der Krimi durch Kommentar in Echtzeit verhöhnt wird. "Weil ohne Sprache kommst du nie zu dem Punkt, wo du die Halbautomatische einsetzen kannst." (188) Brenner weiß genau, wie so ein Brenner funktionieren muss, die Hauptfigur analysiert die eigene Unzulänglichkeit und kann doch nichts daran ändern, wie auch Autor und Leser nichts anders mit dem Text machen können, als ihn hemmungslos zu exekutieren. Und das Ganze ist obendrein noch witzig, sarkastisch, österreichisch, rentnermäßig geil! Helmuth Schönauer


Rezension


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Personen: Haas, Wolf

Haas, Wolf:
Brennerova : Roman / Wolf Haas. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2014. - 238 S.
ISBN 978-3-455-40499-9

Zugangsnummer: 915
Krimi - Signatur: DK Haa - Buch