Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Cornelia Gstöttinger; Ein eindringlicher, atmosphärisch dichter Roman über eine Kindheit in Libyen Ende der 1970er Jahre. (DR) Tripolis, 1979: Die Hauptstadt Libyens ist in gleißendes Sonnenlicht getaucht. Die Maulbeeren sind überreif, die Sommerhitze liegt drückend über den Häusern. Aber es ist nicht nur die Schwüle des Sommers, die dieser Tage auf Suleiman und seiner Familie lastet: Seit der Nachbar Ustaz Raschid, ein Freund der Familie, verhaftet wurde, ist nichts mehr wie zuvor. Eine beängstigende Stille, ein undurchdringliches Schweigen hüllt alles ein. Verängstigt und verstört bewegt sich der neunjährige Suleiman, aus dessen Blickwinkel der Roman erzählt wird, in der undurchschaubaren Welt der Erwachsenen. Viel zu früh wird er mit den Machtstrukturen von Gaddafis Gewaltherrschaft konfrontiert. Zu jung, um das Verschwinden des Vaters, der im Untergrund gegen Revolutionsführer Gaddafi arbeitet, richtig zu deuten, wird der Neunjährige beinahe zum Werkzeug von Gaddafis Spitzeln. Der Zauber, der sanft über jeder Kindheit liegt, wird hier jäh zerrissen: Suleiman erlebt die verstörende Macht der Gewalt, er verfolgt die Hinrichtung von Ustaz Raschid im Fernsehen, sieht die jubelnden, hysterisch agierenden Zuschauer und spürt die Angst der Mutter vor der drohenden Denunziation. Alleingelassen mit seinen Fragen, flieht er in seine eigene irrationale Welt. Die kindliche Naivität, mit der der Ich-Erzähler den politischen Umbrüchen begegnet, lässt das Geschilderte besonders drastisch wirken. Bedingt durch die Erzählperspektive wird vieles nur angedeutet, manches bleibt unscharf. Der Autor macht die LeserInnen nicht nur mit einem wichtigen Kapitel der Geschichte Libyens vertraut, er schildert auch eine ergreifende Mutter-Sohn-Beziehung: Von ihrer "Medizin" - einer Flasche Grappa - in eine gänzlich andere Frau verwandelt, erzählt Suleimans Mutter ihrem kleinen Prinzen von ihrer Zwangsheirat - dem, wie sie meint, schwärzesten Tag in ihrem Leben - spricht sich ihr Leid von der Seele und macht Suleiman so zu ihrem Verbündeten im "Land der Männer". Bemerkenswert auch die zahlreichen autobiografischen Bezüge: Matar selbst wuchs in Tripolis auf, bevor seine Familie nach Kairo emigrierte. Sein Vater verschwand in libyschen Gefängnissen, sein Schicksal ist bis heute unbekannt. Matar hat ein erschütterndes Buch geschrieben, das zu Recht auf der Shortlist des Man Booker Prize stand: Ein Roman, der einen auch nach der Lektüre nicht so schnell loslässt. Allen Bibliotheken uneingeschränkt empfohlen.
Rezension
Personen: Löcher-Lawrence, Werner Matar, Hisham
Matar, Hisham:
Im Land der Männer : Roman / Hisham Matar. Werner Löcher-Lawrence. - München : Luchterhand, 2007. - 254 S.
ISBN 978-3-630-87244-5
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR Mat - Buch