Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Christina Gastager-Repolust; Von verstörten Menschen, leeren Bilderhaken und den Verletzungen, die eine Frau zur berühmten Autorin machen. DR) Am Beginn des Romans überrascht die 4-jährige Ruth den 16-jährigen Eddie mit ihrer Mutter beim Geschlechtsakt. Der Weg von Ruths Zimmer hin zum Schlafzimmer führt an den Fotos von Ruths toten Brüdern vorbei, die bei einem Autounfall im Beisein der Eltern starben. Und jetzt: eine erhitzte Mutter, ein verstörter Eddie, Sekretär des Vaters, eines Schriftstellers und Illustrators. Die Ehe ist anscheinend mit dem Tod der Söhne zu Ende gegangen und nicht an den regelmäßigen Seitensprüngen des Ehemanns gescheitert. Dieser Roman zeigt Lust, Sex, tiefe Liebesbeziehungen, endlose Mühen im Vergessen und hoffnungsvoll Liebende. Sei es die reife Frau, die Mann und Kind verlässt, um vor allem das Kind, die kleine Ruth, nicht mit ihrer Trauer anzustecken. Sei es Eddie, der fortan nur noch reife Frauen begehren kann und sein Sommererlebnis in seinen Romanen immer wieder aufleben lässt. Auch Ruth wird Schriftstellerin, eine sehr berühmte; ihr Leben lang wartet sie auf die Rückkehr ihrer Mutter. Sie bleibt weg: bei Ruths erster Lesung, bei Ruths erster Hochzeit, bei der Beerdigung von Ruths erstem Mann, bei der Beerdigung von Ruths Vater, bei ihrer zweiten Hochzeit. Mit 41 Jahren verliebt sich Ruth, Witwe mit einem 4-jährigen (!) Sohn, während einer Lesereise in Europa in einen holländischen Kriminalbeamten, der ihre geheime Zeugenschaft bei dem Mord an einer Prostituierten aufdeckt. Ruth heiratet ihre große Liebe, der ihr die Selbstverständlichkeit des Liebens vorlebt. Als Ruths Mutter zurückkehrt, passt ihre Begrüßung zu ihrer weisen Art Dramen zu reduzieren und heftigste Emotionen auf den Punkt zu bringen: "Wir sind es nur, Eddie und ich." Akribisch erzählt John Irving das Leben von Ruth Cole, ihre sportlichen Aktivitäten mit genauer Beschreibung der Squashregeln, ihre Kindheit mit exakter Wiedergabe einer Verletzung am Daumen und des Heilungsprozesses. Wer "Garp - oder wie er die Welt sah" von John Irving gelesen hat, findet bei Garp Parallelen zu Ruth. Irvings Lust am Karikieren selbstgerechter, prophetisch agierender Frauen schlägt in beiden Romanen in Nebenfiguren durch. Und die Prostituierten sind hier wie dort Lieferant/innen von Informationen, um endlich das Leben in seinen Tiefen zu verstehen. Ein sehr empfehlenswerter Roman, für Irving-Leser/innen und für Leute, die es immer ganz genau wissen wollen. Da Rezensionen ja keine Liebeserklärungen sein sollen, ganz knapp: nur sehr, sehr zu empfehlen.
Rezension
Personen: Irving, John
Irving, John:
Witwe für ein Jahr : Roman / John Irving. - Zürich : Diogenes, 1999. - 761 S.
ISBN 978-3-257-06200-7
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR Irv - Buch