McCann, Colum
Zoli Roman
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Doris Göldner; Episch erzählte Lebensgeschichte einer Roma. (DR) Zoli wächst bei ihrem Großvater auf, nachdem ihre gesamte Familie ermordet wurde. Untypischerweise wird ihr ermöglicht, lesen und schreiben zu lernen. Der verständnisvolle Großvater verheiratet sie sogar mit einem toleranten älteren Mann, der nicht nur ihr Talent für die Gesänge der Zigeuner fördert. Schließlich trifft sie Swann, Sohn eines nach Irland ausgewanderten Slowaken, der Zigeunerlieder sammelt und herausgibt. Eine neue Zeit scheint angebrochen, der Osten Europas soll nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einer neuen Ordnung entstehen, früher verfemte Gruppen sollen integriert werden. Zoli und ihre musikalischen Begleiter werden als das "wahre Proletariat" eingeladen und gefeiert, bis die Politik das fahrende Volk zur Sesshaftigkeit zwingt und Zoli mit einem Mal als Verräterin angesehen wird. Der Bann wird vom Ältestenrat ausgesprochen, fortan ist Zoli entehrt und völlig allein. Als alte Frau begegnet Zoli auf einer Roma-Konferenz in Paris ihrem verräterischen Geliebten Swann wieder. Das fast 400 Seiten starke Buch beschreibt die Entwicklung Osteuropas nach dem Zweiten Weltkrieg, enthält viele Details über die Kultur und Lebensweise des "Fahrenden Volkes" und gibt einige Gedichte und Lieder der Roma wieder. Zur Figur Zolis wurde der Autor durch die polnische Dichterin "Papusza" inspiriert, sie steht stellvertretend für viele andere Dichter und Sänger aus dem Zigeunermilieu. "Zoli" ist inhaltlich und stilistisch ein bemerkenswertes Buch, besonders durch den Wechsel der Perspektiven - Teile werden von Zoli selbst erzählt, Teile aus der Sicht Swanns berichtet, andere Teile wiederum von einem anonymen Journalisten oder dem Slowaken Stransky, der die Idee zur Veröffentlichung der Zigeunerlieder hatte. In diesem Roman erfährt man sehr viel über Leben und Denkweise der Roma, jedoch klingt manches klischeehaft. Die Figur der Zoli allerdings ist faszinierend und facettenreich. Unbedingt zu empfehlen!! ---- Quelle: Pool Feuilleton; Kann man das Schicksal der Roma etwa gar mit dem bürgerlichen Erzählmittel der Buddenbrooks darstellen? Colum McCann scheint tatsächlich so etwas vorzuhaben, und es funktioniert auf der Oberfläche der Lektüre sogar. Zoli ist eine Zigeuner-Dichterin aus der Gegend um Bratislava, die das geheimnisvolle Insiderwissen ihres Volkes ehrfurchtsvoll besingt, und dabei immer mit dem eigenen Leben und der politischen Lage in Verbindung bringt. Mehr zerstörerisch durchbrochen als hilfreich gespiegelt wird diese Biographie durch einen englischen Zigeunerforscher, der seinen eigenen Spuren nachgeht und die Kultur der Roma als akademisch-literarischen Stoff für seine Analysen verwendet. Der harte Kosename Zoli soll für Marienka eigentlich Schutz gegen alles sein. Großvater führt Zoli in die Technik des Lesens und Schreibens und in die Liebe zur eigenen Kultur ein und als Lehrmeister dient dabei ein Pferd, das immer scheißt, wenn etwas schlimm ist. Die Beschwörungsformel: "Pferd, scheiß!" soll schlechte Sachen abwehren. Und schlechte Sachen gibt es mehr als genug. Zoli überlebt den Holocaust, Identitätsfehden in der eigenen Sippschaft, das kommunistische Regime, die Zwangsverordnung zur Sesshaftwerdung von Zigeunern. Schließlich flüchtet sie durch das Österreich des Kalten Kriegens nach Italien, und irgendwo in Paris gibt es mit ihrer Tochter ein verhaltenes Treffen für sachte Generalreflexion. Vielleicht kann man nach so einem zerfransten Leben niemandem und keiner Zeit mehr trauen. Colum McCann erzählt blumig romantisch. Überspitzt ausgedrückt schreibt er mit den erzählerischen Mitteln des späten 20 Jahrhunderts ein Operettenbuch über das Leben von Zigeunern, wie es früher einmal die einschlägigen Libretti geliefert haben. "Die Tage vergehen in wütender Leere. Der Himmel ist winterlich und schnell. Sie steigt die steile Böschung zum Ufer hinunter. Die Sonne glänzt auf dem dünnen Eis, wuchernde Kristalle umschließen die Gräser am Fluss. Sie geht zum Wasser, zieht einen Stiefel über die Hand und zerschlägt das Eis. Mit einem Stock stochert sie in dem Loch und schiebt die Bruchstücke beiseite, dann taucht sie die Hände in das eiskalte Wasser." (217) Mit diesem Erzählduktus könnte man wahrscheinlich auch das Leben eines österreichischen Provinz-Bibliothekars aufregend gestalten. Schmückende Extravaganzen machen aus einem recht miesen Leben ein cineastisch luzides Erlebnis, wie eben in Filmen der Schmutz manchmal sehr schön auf die Filmgesichter geschmiert wird. Im Nachspann bedankt sich Colum McCann bei Gott und der Welt für den Stoff, den er da während eines Stipendiums in der New York Public Library hat belletristisch weit schweifend bearbeiten dürfen. Es ist die alte Diskussion, darf man ein wildes Schicksal mit schönen Mitteln darstellen. Na ja, im Breitband des Erzählstroms liegt man sicher als Schriftsteller erfolgreich mit seinem zusammengelesenen Segel im Wind. Wie die Geschichte einer Roma-Frau heftig, subkutan und ergreifend erzählt werden könnte, hat zur gleichen Zeit der österreichische Schriftsteller Ludwig Laher mit seinem Roman "Und nehmen was kommt" bewiesen. Er legt die gleiche Geschichte unromatischer und lebensnaher an, bei ihm käme man nie auf die Idee, dass vielleicht die Buddenbrooks Pate für ein Leben am Rande der Gesellschaft gestanden haben könnten. Helmuth Schönauer


Rezension


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Gunsteren, Dirk van McCann, Colum

McCann, Colum:
Zoli : Roman / Colum McCann. Dirk van Gunsteren. - Reinbek : Rowohlt, 2007. - 382 S.
ISBN 978-3-498-04489-3

Zugangsnummer: 1845
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR McC - Buch