Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Martina Lainer; Begegnungen mit Menschen, ihren Schicksalen und historischen Ereignissen. (DR) Es ist für die literarische Qualität der Texte nicht von Belang, aber es gehört wohl angemerkt: Die Kleinschreibung, deren sich der Autor bedient, ist natürlich verzichtbar, stört den Lesefluss aber nicht. Haslinger, Lehrer im Deutschen Literaturinstitut Leipzig, zeigt, dass er auch Erzählungen von knappem Umfang verfassen und sehr unterschiedlich schreiben kann. Was die Geschichten verbindet, ist das Motiv des Unterwegsseins. Immer verschlägt es den Protagonisten an einen bestimmten Ort, weil der dort irgendwie irgendwas "zu tun" hat, wie es in der ersten Erzählung mit dem Titel "ich hatte in frankfurt zu tun" heißt. Der Ich-Erzähler trifft sich mit einem ehemaligen WG-Kumpanen just in jenem Haus, das sie damals, als er 16 Jahre alt war, bewohnten, nun aber ein Hotel ist. Erinnerungen steigen auf und mit ihnen wird eine verflossene Liebe wieder lebendig. Im übertragenen Sinn lebendig werden die beiden Skelette in "fiona und ferdinand", die für Aufruhr in der Heimatgemeinde des Ich-Erzählers sorgen. Er soll nun schlichten, denn der eben verstorbene Vater seines Schulfreundes soll gemeinsam mit dessen Bruder die Soldaten erschossen haben, um an ihre Uniformen zu gelangen und den Mord an der von beiden begehrten Lehrerstochter zu vertuschen. Nun meldet sich eine Zeugin spät zu Wort. Ebenfalls um Vergangenheitsbewältigung geht es in "die schlacht um wien", einem kunstvoll verschachtelten Text, der mit wenig direkter Rede auskommt, was den poetischen Charakter herausstreicht. Der Text, der dem Erzählband den Titel gegeben hat, lenkt den Blick nach Kroatien und darauf, was der Krieg auf dem Balkan in den Seelen und Herzen der Menschen angerichtet hat. Auch hier - Vergangenheitsbewältigung, die brisante Frage nach Schuld in die Wiederbegegnung zweier Menschen verwoben. Jede Erzählung ein Kleinod - zu mehrmaligem Genuss empfohlen. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Thomas Kraft; Die Anstrengungen des Erinnerns und des Vergessens Josef Haslingers Erzählungen "Zugvögel" Ein Wiedersehen mit dem Freund aus bewegten Jugendtagen, ein vertuschtes Verbrechen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einem österreichischen Dorf, jeweils ein im Balkankrieg und ein im Hamburger Obdachlosenmilieu spurlos verschwundener Mann, die vergebliche Suche nach einem ehedem bekannten Rockmusiker aus der DDR, die Ängste des "schwitzenden Feldwebels Neugebauer", den bei einem Veteranentreffen die eigenen Verbrechen einholen, sowie ein Mann auf der Flucht durch Amerika, der "die alte Welt" hinter sich lassen will - alle Texte in Josef Haslingers jüngstem Erzählband, "Zugvögel", kreisen um die Nöte und Anstrengungen des Erinnerns und Vergessens. So unterschiedlich sie auch formal angelegt sind - von der "road novel" bis hin zum Montagetext -, so reflektieren sie doch fast alle die Auswirkungen von Verrohung, Gewalt und Krieg. Josef Haslinger ist ein geschichtsbewußter Autor, der sich in vielen seiner Texte mit den Motiven und Wirkungen von Gewalt auseinandergesetzt hat und befindet sich damit - man denke nur an Horváth, Bernhard und Jelinek - in bester österreichischer Tradition. Gerade das Auseinanderbrechen enger, familiärer Beziehungen vor dem Hintergrund aggressiver Handlungen scheint ihn psychologisch und literarisch zu interessieren; vorgeblich einfache Fragen wie "Was hat der Krieg aus den Menschen gemacht?" oder "Wie gehen gewalttätige Menschen mit ihrer Schuld um?" spielt er fast wie Rollenspiele durch, geht ihnen subtil und gezielt, doch in den Wunden bohrend auf den Grund und erzählt von Tätern und Opfern, Schuld, Leid und Reue, Verhältnissen und Vernarbungen. Dabei überzeugen die ganz sachlich und verhalten erzählten Geschichten mehr als die etwas komplexer gebauten; in ihnen liest man tatsächlich mehrere Geschichten zwischen den Zeilen mit und folgt in dieser scheinbaren Unaufgeregtheit der spannungsreichen Aufklärung. Manch autobiographischer Verweis rückt die Texte in das Feld persönlicher Erfahrung, wenn zum Beispiel von einer Arbeit in Leipzig oder von einem "Joe" die Rede ist, nicht selten haben sie ihren Kern in der österreichischen Provinz. Abgesehen vom "reiseepos" "amerika", das Haslinger bereits vor mehr als zehn Jahren mit zwei Posaunisten aufgenommen hat und das nun, erneut als CD, diesem Erzählungsband beigelegt wurde, scheinen die einzelnen Erzählungen, so disparat sie auf den ersten Blick auch anmuten mögen, auf vielen Subebenen miteinander zu korrespondieren. Die Figuren entstammen meist dem ländlichen, sozial eher schwachen Milieu, es geht auch um Jugend- und bekannte Generationenkonflikte, um Einsamkeit und immer wieder um Gewalt. Da will zum Beispiel ein Mann namens Biber das Hotel abfackeln, in dem er früher - als Hausbesetzer - gewohnt hat; in einer anderen Geschichte, die in Istrien spielt, will ein Mann "die erinnerung an diesen verdammten krieg endgültig aus ihr herausficken"; Kinder durchlöchern alte Skelette, es gibt eine Vergewaltigung, einen Mord und die späte Rache des Flakhelfers an dem österreichischen Nazi, der ihn in den Tod geschickt hat. Josef Haslingers Erzählungen sind zeitnah und zeitlos zugleich. Sie handeln von archaischen Konflikten und Energien, die uns bis heute und sicher darüber hinaus geprägt und verfolgt haben. Erstaunlich ist dabei der ruhige, zuweilen lakonische Ton, mit dem Haslinger seine Geschichten erzählt - angesichts des Grauens, das er beschreibt. Wahrscheinlich ist dies die einzig angemessene Art und Weise, sich auf diese Themen einzulassen. Seinem dritten Erzählband hat es jedenfalls spürbar gutgetan.
Rezension
Personen: Haslinger, Josef
Haslinger, Josef:
Zugvögel : Erzählungen / Josef Haslinger. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2006. - 203 S.
ISBN 978-3-10-030057-7
Romane, Erzählungen, Novellen (dt.) - Signatur: DR Has - Buch