Das Wagnis historischer Romane Martin Prinz würdigt »Die letzte Prinzessin« Sie war die Lieblingsenkelin des Kaisers, bei ihrer Geburt 1883 wurden in allen Kirchen der Monarchie die Glocken geläutet. Damals war die Welt im »Haus Österreich« noch in Ordnung. Mehr als fünf Jahre später, als sich ihr Vater, Kronprinz Rudolf, das Leben nimmt, beginnt sich auch die Welt der kleinen Erzherzogin Elisabeth zu ändern, das Verhältnis zu ihrer Mutter, Prinzessin Stephanie, bleibt zeitlebens unterkühlt, auch das Leben am Hof ist nicht von großer Herzlichkeit geprägt, dabei ist die Person, von der sie am ehesten noch Zuneigung erfährt, der als unnahbar geltende Kaiser selbst, ihr Vormund, der sie nach dem Tod seiner Gattin zur Repräsentationsdame an seiner Seite macht. Doch das Hofzeremoniell bleibt ihr weitgehend fremd, der Widerstandsgeist ihres Vaters lebt in ihr fort, und vielleicht weil sie so sehr auf sich gestellt ist, beginnt sich Elisabeth früh zu emanzipieren. Mit 19 setzt sie die »unstandesgemäße« Heirat mit Otto Windisch-Graetz durch. Der Kaiser gibt seinen Segen, stattet die Enkelin mit beträchtlichen Mitteln aus, aber von nun an gehört Elisabeth von Österreich nicht mehr zum Haus Habsburg, und als sie nach unglücklicher Ehe ein zweites Mal heiratet, den Bürgerschullehrer und sozialdemokratischen Funktionär Leopold Petznek, verbindet sie mit ihrer Herkunft kaum noch etwas. Dennoch ist die bürgerliche Rolle, obwohl selbst kämpferische Sozialdemokratin und Feministin, nicht ganz die ihre – sie bleibt, und so heißt Martin Prinz’ Roman folgerichtig, ein Leben lang die »letzte Prinzessin«. Als sie 1963 mit dem bürgerlichen Namen Elisabeth Petznek stirbt, residiert sie in einer herrschaftlichen Hietzinger Villa, am Fußende ihres Bettes wachen zwei Schäferhunde, die niemanden in ihre Nähe lassen. Aber nach ihrem Tod sind sie ganz ruhig. »Die Hunde bellten nicht.« So beginnt der Roman, der in der Folge ihr Leben aufrollt, zumindest den wichtigsten Teil, von 1889 bis in die frühen 1920er-Jahre. Das sind Epochenbrüche und biografische Wegmarken zugleich, in mehrfacher Hinsicht Stoff genug für einen Roman. Aber wie zeitgemäß ist ein solches Sujet und mehr noch das Genre des historischen Romans, das heutzutage, so scheint es, doch ausgedient hat? Bis zur Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren historische Romane die großen Bestseller. Es gab nicht nur eine sehr erfolgreiche Unterhaltungsliteratur, etwa Bruno Brehm, Mirko Jelusich, Egon Caesar Conte Corti oder Enrica Handel-Mazzetti, auch Franz Werfel und vor allem Stefan Zweig, der gerade mit seinen biografischen Romanen oder romanhaften Biografien zu beeindrucken verstand, haben ein begeistertes Publikum gefunden. Das Leben der Kronprinzentochter wäre zweifellos auch für Zweig ein guter Romanstoff gewesen, das zeitgenössische Interesse war groß: 1929 erschien in Dresden so etwas wie ein Schlüsselroman, Das Enkelkind der Majestäten, geschrieben von einer Edith Gräfin Salburg, die als deutschnationale und antisemitische Autorin gilt, mit Hang zur adels- und kirchenfeindlichen Satire. Ob Martin Prinz dieses Buch gelesen hat, ist nicht bekannt. Im selben Jahr wurde übrigens Franz Nabls Komödie Schichtwechsel uraufgeführt, die ebenfalls das Leben Elisabeths und ihre Hinwendung zur Sozialdemokratie zum Thema hat. Auf alle Fälle aber hat Martin Prinz Friedrich Weissensteiners Biografie Die rote Erzherzogin aus dem Jahr 1982 als Quelle gedient, schließlich wird hier ein umfassendes Lebensbild gezeichnet, das eigentlich keine Fragen mehr offenlässt. Wie dringlich ist es dann, sich heute noch einmal auf diese Person belletristisch einzulassen? Und warum ist das für einen Schriftsteller der jüngeren Generation – Martin Prinz ist Jahrgang 1973 – ein wichtiger Stoff? Würde man sich nicht eher einen gegenwartsbezogenen Roman erwarten, der auf die gesellschaftlichen Probleme der Zeit eingeht und dem Literaturbetrieb also viel eher entsprechen würde? Andererseits, warum sollte es nicht Stoff sein dürfen? Eine vordergründige Erklärung liefert der Autor selbst in einem Gespräch mit dem Standard: Er ist nämlich in Lilienfeld aufgewachsen, Lilienfeld ist wiederum berühmt für Mathias Zdarsky, den Schipionier, der sich 1889, kurz nach dem Selbstmord des Kronprinzen Rudolf, im Traisental niedergelassen hat, und ebendort hielt sich lange Zeit das Gerücht, dass Zdarsky in Wahrheit der Kronprinz sei, der gar nicht gestorben ist… Immerhin sah Zdarsky ihm ähnlich, er taucht – ein wenig rätselhaft – auch am Schluss des Romans auf, als Wunderheiler, was wohl den esoterischen Neigungen Elisabeths Rechnung tragen soll, nur werden gerade diese nicht wirklich thematisiert. Es ist nicht das einzige Detail in diesem Lebensbild, das der Autor zwar anreißt, aber nicht erklärt. So wie es in dieser Lebensgeschichte natürlich Lücken gibt, Martin Prinz wollte wohl bewusst keine allumfassende Geschichte schreiben. Dennoch erscheint die ganze Konstruktion dieses Romans nicht wirklich schlüssig. Es beginnt mit einem rätselvollen Ende, das eigentlich nie wirklich aufgelöst wird. Da wird die Figur des Portiers Mesli in den Roman geholt, der Zeuge ihres Sterbens wird, der sich alles notiert. Aber was dieses Protokoll hergibt, erfährt der Leser nie. Am Schluss heißt es, dass ein Schriftsteller auf Empfehlung Bruno Kreiskys mit ihm in Kontakt tritt. Das soll wohl der namenlose Erzähler dieser Geschichte sein, anders lässt sich der Hinweis in keinen Zusammenhang stellen. Doch gerade was die Erzählhaltung anbelangt, erweist sich der Roman als ziemlich inkonsequent, denn Prinz erzählt sehr nah an der Person Elisabeths, die Innenperspektive wird aber immer wieder durch auktoriale Einlassungen gebrochen. Wozu braucht es zwischendurch den erklärenden Erzähler? Und was fast noch mehr verwundert, es ist ein sehr konventioneller Erzählton, der fast zeitbezogen wirkt. Das hat wohl auch damit zu tun, dass der Autor – leider oft seitenweise – Originaldokumente zitiert, hauptsächlich Berichte aus der Arbeiterzeitung. Solche dokumentarischen Einschübe und überhaupt die Fülle an Fakten, die sich nicht immer in einen greifbaren Zusammenhang mit dem Persönlichen der Figur bringen lassen, beeinträchtigen das Erzählerische. Wenn schon Roman, warum dann nicht konsequent? Vielleicht rühren diese Defizite ja davon her, dass der Autor sein über 300-Seiten-Werk, wie er selber sagt, in vier Monaten zu Papier gebracht hat, er habe jeden Tag ein Kapitel geschrieben… Eine mindestens ebenso lange Phase der Überarbeitung bzw. Kürzung wäre wünschenswert gewesen, um allzu dokumentarische und langatmige Passagen wieder zu streichen. Nun gibt es in dem Roman aber auch vieles, das Bewunderung abringt, etwa wie subtil der Mutter-Tochter-Konflikt geschildert oder wie die zärtlich-distanzierte Beziehung zum Kaiser in die Handlung gesetzt wird. Interessant auch die Interna bei den Habsburgern, etwa dass Franz Joseph es gerne gesehen hätte, wenn seine Enkelin mit seinem Thronfolger-Neffen Franz Ferdinand die Dynastie weitergeführt hätte. Oder soll das nur der übliche Hoftratsch gewesen sein? Wenn es allerdings dann um die Ehe mit Otto Windisch-Graetz geht, wird an voyeuristischen Einblicken nicht gespart, ohne dass klar würde, warum auch für den Leser der Blick ins Schlafzimmer so tief fallen muss. Es genügt schon, dass Elisabeth und Otto, der offenbar kein guter Liebhaber war, einander nichts geschenkt haben, dass sie einander betrogen und die dazugehörigen Details in der Boulevardpresse publik machten. Hier sieht der Autor nur scheinbar von außen zu und ergreift trotz aller gebotenen Neutralität dann doch für Elisabeth Partei. Jedenfalls hat man den Eindruck, er sieht nicht ungern über ihre Schwächen hinweg – so wie der Kaiser, ihr Großvater, der sie vermutlich deswegen geliebt hat, weil sie so sehr ihrem Vater glich, mit dem er bekanntlich nicht konnte. Gerade hier gilt es positiv herauszustreichen, dass Martin Prinz kein einziges Mal in die Falle des Psychologisierens tappt. Auch das Untergangsszenario der Monarchie bleibt frei von jeglicher nostalgischen Sicht. Überhaupt wäre es verfehlt, das historische Lebensgemälde der Prinzessin als historisierend abzutun. Auf den ersten Blick verwundert dieser Roman ja, wenn man ihn mit Martin Prinz’ letzten Büchern in eine Reihe stellen will: 2002 erschien sein Roman Der Räuber, in dem er sich auf die Spuren eines Bankräubers aus den 80er-Jahren begibt, der als »Pumpgun-Ronnie« jahrelang die Öffentlichkeit in Atem hielt; 2010 veröffentlichte Prinz dann die Reiseerzählung Über die Alpen, die Fußreise eines Langstreckenläufers von Triest nach Monaco. Sollte man da wissen, dass auch Martin Prinz Ausdauersportler und Marathonläufer ist, wie übrigens auch der Bankräuber mit der Ronald-Reagan-Maske? In dem besagten Standard-Interview (10. 9. 2016) gibt Prinz, angesprochen auf die unterschiedlichen Themen und formalen Zugänge in seinen bisherigen Büchern, eine höchst interessante, höchst selbstbewusste Erklärung: Er arbeite an einem »Gesamtwerk«, daher seien alle seine Bücher »Verortungen«, mit denen er »Lebenswege und -grenzen« sichtbar machen wolle: »Ich vermesse immer auch etwas an mir selbst.« Das sei letztlich seine »Art der Weltaneignung«. Vielleicht wird man später einmal, in einem größeren Zusammenhang, die Kausalitäten, auch dieses Romans, begreifen.
Personen: Prinz, Martin
Prinz, Martin:
Die letzte Prinzessin : Roman / Martin Prinz. - Frankfurt/M. : Insel-Verlag, 2016. - 339 S,
ISBN 978-3-458-17683-1 fest geb. : ca. Eur 24,70
Prosaanthologien - Signatur: DR.A Prinz - Buch