Geschichtenerzähler Paul, der mit seiner Mutter jüngst aus Berlin in die Kleinstadt Wicker gezogen ist; Ken, ein Einzelgänger und Nerd, wie er im Buch steht, zu altklug und im Denken und Wollen zu groß für seinen kindlichen Körper; und schließlich der übergewichtige Mehmet, der für seine verschwitzten T-Shirts Spott und Häme erntet und dessen schwärmerische Liebe zum populärsten Mädchen der Schule nicht einmal seine besten Freunde richtig ernst nehmen. Denn zu Freunden werden die drei 16-Jährigen in dem Jahr, von dem Ich-Erzähler Paul rückblickend anhand einer Sammlung von Gegenständen erzählt. Monatelang hatte er diese Dinge (vor sich selbst) in einer Holzbox verborgen. Erst als er vor einem neuen Umzug sein Zimmer räumt, vermag er sich den mit ihnen verknüpften Geschichten zu stellen. Rahmen- und Binnenerzählung, die, kunstvoll verflochten, auf ein tragisches Ereignis, den Tod eines Jungen zusteuern, erzählen unsentimental, aber voller Humor und mit tiefer Anteilnahme von der behutsamen Annäherung dreier Außenseiter, die sich zunächst eher als Leidensgefährten verstehen. Für sich allein und gemeinsam finden Paul, Ken und Mehmet zu einem Ausdruck und, mehr noch, zu einem Miteinander, das quer steht zum Wettbewerbs- und Imponiergehabe und zum Sexismus, der den Habitus hegemonialer Männlichkeit in Wicker bestimmt (und beschränkt). Das ist es unter anderem, was sie zur Zielscheibe der Mobbing-Kampagnen von Wieland macht, dem Sprössling des wichtigsten städtischen Arbeitgebers und Donators, der mit seiner Truppe beständig nach unten tritt, auf dass sich die „natürliche“ Ordnung ja nicht bewege. Obwohl Michael Sieben in seinem Jugendroman den Spuren, die Mobbing beim Einzelnen hinterlässt, und den Gruppendynamiken unter heranwachsenden Männern viel Aufmerksamkeit widmet, seziert er darüber hinaus die sozialen Zwänge und die strukturelle Gewalt, welche die Handlungsfähigkeit des Einzelnen beschneiden – auch und gerade im Erwachsenenalter. In diesem Umfeld auszuloten, welche Art von „Mann“ man jenseits von homosozialem Wettbewerb und Locker-Room-Talk sein möchte, und eine auf ein freiheitlich-egalitäres Miteinander ausgerichtete Haltung zu entwickeln, fordert den Jungen unendlich viel Mut ab. Als Leser*innen schließen wir sie dafür umso tiefer ins Herz, als wir von Anfang an wissen, dass sie einen hohen Preis dafür bezahlen werden.
Altersempfehlung: ab 13 Jahren.
Personen: Sieben, Michael
Sieben, Michael:
Das Jahr in der Box / Michael Sieben. - Originalausgabe. - Hamburg : Carlsen, 2020. - 253 S. - ab 14 J.
ISBN 978-3-551-58396-3 fest geb. : EUR 16.50
Jugendbücher ab ca. 13 Jahren - Signatur: JB 3 Siebe - Buch