Rudyard Kipling hatte es nicht leicht. Wenn er seiner Tochter eine bestimmte Gute-Nacht-Geschichte erzählte, musste sie genauso wie beim letzten Mal sein, genauso wie immer. Seine kleinen mündlichen Erzählungen wurden später, zusammen mit weiteren Geschichten, zu Kiplings berühmten;. Dreizehn dieser Texte versammelt das erstmals 1902 erschienene Buch, und in jedem wird ein ebenso witziger wie eigenwilliger quasi-evolutionärer Sachverhalt erläutert, etwa die Fragen, wie das Kamel zu seinem Buckel gelangte, wie der Leopard seine Flecken bekam und wieso, mit Verlaub, das Rhinozeros so viele Falten hat. Bis vor kurzem lagen fünf deutsche Übersetzungen dieses englischen Kinderbuchklassikers vor, von denen diejenigen von Irmela Brender und von Gisbert Haefs sicherlich die eindrucksvollsten sind. Mit Blick auf die Übertragungen ist es demnach ausgesprochen erfreulich, dass sie nicht alle „genauso“ sind. Ganz besonders trifft dies auf die sechste deutschsprachige Fassung zu, die sich jüngst dazugesellt hat. Der preisgekrönte Übersetzer Andreas Nohl hat das, was Kiplings Erzählweise in diesem Buch so besonders macht, meisterhaft in die Zielsprache hinübergerettet, all die Binnenreime und Lautmalereien, die Wortspiele und die Alliterationen, die reizenden Ansprachen und die sprachlichen Varietäten und nicht zuletzt den oft ungestümen Rhythmus und die raffinierte Mixtur aus gestelztem und verspieltem Sprachduktus. Nicht ganz nachvollziehbar ist allerdings die im Nachwort erläuterte Entscheidung des Übersetzers und Herausgebers Nohl, das jeder Geschichte jeweils nachgestellte Gedicht nicht in die deutschsprachige Ausgabe aufzunehmen, zumal sich Kiplings Buch gerade auch durch die Verwendung verschiedener Genres und Kunstformen auszeichnet. Umso begrüßenswerter ist hingegen, dass auf Kiplings ursprüngliche Illustrationen, schwarzweiße Federzeichnungen mit Bildbeschreibungen, verzichtet wurde. Stattdessen enthält das Buch farbige Zeichnungen von Kathrin Schärer, sehr genau gearbeitete und ironisch gebrochene Darstellungen, die den spezifischen Ton von Kiplings Geschichten überaus gekonnt aufgreifen und künstlerisch umwandeln.
Altersempfehlung: ab 6 Jahren.
Personen: Nohl, Andreas Schärer, Kathrin Kipling, Rudyard
Kipling, Rudyard:
¬Der¬ Schmetterling, der mit dem Fuß aufstampfte / Rudyard Kipling. Mit Ill. von Kathrin Schärer. Hrsg., übers. und mit einem Nachw. von Andreas Nohl. - 3. Auflage. - München : Carl Hanser, 2016. - 222 S.
ISBN 978-3-446-25299-8 fest geb. : EUR 18,50
Erstes Lesealter; Vorlesebücher; ab ca. 3 Jahren - Signatur: KB 2 Kipli - Buch