Je bürgerlicher und biedermeierlicher die Regeln sind, umso lautloser fällt das Aufbegehren gegen die Konvention aus. Der Widerstand spielt sich nur im Hinterkopf im Aberland ab, wo ab und zu zynische Formulierungen entstehen. In Gertraud Klemms Roman "Aberland" versuchen Mutter und Tochter in ihren Jahrgangskapseln eingeschlossen mit dem Gesellschaftsstrom mit zu schwimmen, ohne anzuecken und das eigene Wohlbefinden zu gefährden. Heldinnen dieses Abwehrkampfes in einem trivialen Leben sind Elisabeth, 58, aus ihrer Sicht wird in den geraden Kapiteln erzählt, und ihre Tochter Franziska, 35, ihr gehören die ungeraden Auftritte. Jede Sequenz wird mit einer verschriftlichten Einladung zu einem Familienereignis eingeleitet. Muttertag, Pensionierung, Taufe, Verabschiedung, Baby-Baden und Kosmetik-Überraschung treiben die beiden regelmäßig außer Haus, wenn sie nicht gar bei der Familienfeier selbst Hand anlegen müssen. Elisabeth schaut sich selbst und ihrem Körper beim Altern zu, ihr Mann altert deutlich aufwändiger und die demente Schwiegermutter zeigt, was noch alles bevorstehen wird. Das Leben ist zwar nicht so gelaufen wie geplant, aber es ist nicht langweilig, und die Alternativen kann man im Zweifelsfall ja auch verbal entwickeln und im Stadium der Imagination belassen. Franziska ist auf dem Weg zum beschaulichen Mutterleben. Sie selbst hat das Studium aufs ewige Eis gelegt und versucht den Wunsch des Mannes nach einem zweiten Kind abzublocken. Das erste Kind ist anstrengend genug, zumal sich in der modernen Gesellschaft alles ums Kind zu drehen hat. Den heftigsten Kontakt zwischen den Heldinnen stellt der Künstler Jakob her, der zu beiden ein kunstvolles Trivial Verhältnis pflegt. Während die Mutter nach der Pensionsfeier ihres Mannes den Künstler ausprobiert, es aber bei bloßem Probe-liegen belässt, versucht die Tochter am Künstler herumzuzupfen und ihn zum Sex zu bewegen. Aber der Künstler ist einfach zu alt für echten Sex und Franziska macht es nichts aus, wenn nichts mehr ist, immerhin hat sie es ja probiert. Eingebettet sind diese Kapitel in eine Konsumwelt voller Lügen, Cremen und Lotions, alles dreht sich um einen kleinen Event, um den regional authentische oder internationale Fressereien aufgetürmt werden. Und die Gespräche sind stets lauernd, voller Häme und Angst, dass man im Biedermeier vielleicht doch den wichtigen Tageshappen verpassen könnte. Die Kommentare der Heldinnen laufen dementsprechend sarkastisch ab, schonungslos ziehen sie über das aufgeregte Getue rundum her, und sie halten sich für die einzigen Ruhepole, weil sie diesen Zirkus zumindest für sich selbst beschreiben können. Gertraud Klemm zeigt eine abgehangene Biedermeierwelt, in der die Figuren nur mehr darauf aus sind, durch Körperpflege größeren Schaden von sich selbst abzuwenden. Helmuth Schönauer
Personen: Klemm, Gertraud
DR Kle
Klemm, Gertraud:
Aberland : Roman / Gertraud Klemm. - Graz : Droschl, 2015. - 183 S.
ISBN 978-3-85420-963-8 fest geb. : ca. EUR 19,00
DR - Dichtung/Belletristi