In Aufzeichnungen, die heute unter dem Titel äMaximen und Reflexionenô zugänglich sind, hält Johann Wolfgang von Goethe fest: äIch bin überzeugt, dass die Bibel immer schöner wird, je mehr man sie verstehtô. Dieses Verstehen umfasst nicht ausschließlich eine religiöse, sondern auch eine theologische, vor allem aber eine kulturgeschichtliche Dimension. Denn die Bibel ist kein in sich kohärenter Text. Der Theologe Thomas Römer wagt in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France in Paris einen diesbezüglich verwegenen Vergleich des Alten Testaments mit dem Filmmusical äMamma Mia!ô: So wie einzelne, über Jahrzehnte hinweg entstandene ABBA-Songs in eine Filmdramaturgie integriert wurden, verhalte es sich auch mit den alttestamentarischen Texten. (Und nur diese sind gemeint, wenn der Alttestamentler über die äGeschichte der Bibelô spricht.) Die Bibel in ihrer Gesamtheit von Altem und Neuem (oder Erstem und Zweitem) Testament meint eine vom Religionspädagogen Georg Langenhorst neu erzählte Kinderbibel - auch wenn hier genrebedingt eine Text-Auswahl getroffen wird. Die kulturhistorische Bedeutung der Bibel, der Thomas Römer und Illustratorin Léonie Bischoff in ihrem Buch (erschienen in der Reihe äComic-Bibliothek des Wissensô) folgen, erweitern Georg Langenhorst und Illustrator Tobias Krejtschi um das anthropologisch bedeutsame Moment des Erzählens: Es ist äDie beste Geschichte aller Zeitenô, die sie in neuer Text- und Bildversion vorlegen. Interessant erscheint die Gemeinsamkeit der beiden Bücher: ein dialogisches Moment in Comicform, mit dessen Hilfe durch die biblischen Texte geführt wird. Im Fall der Kinderbibel erfolgt die Wissensvermittlung ergänzend und nutzt dafür die beiden neutestamentarischen Figuren Maria von Magdala und Thomas (Jünger und Zweifler). In sequenziell gestalteten Doppelseiten werden sie zu Erzähler_innen, führen ein, leiten über, kontextualisieren die biblischen Texte und verweisen auf deren Auswahlcharakter. Im Fall des Wissens-Comics dient der Dialog als Grundprinzip des gesamten Buches und findet zwischen einer fragenden weiblichen Jugendlichen und einem professoralen Erwachsenen statt (der wohl als eine hippe Version des Autors selbst gelesen werden darf). Dabei werden die gegebenen Informationen wortwörtlich verräumlicht: Während von den drei Büchern des Alten Testamentes gesprochen wird, betreten die beiden eine dreischiffige, gotisch anmutende Bibliothek. Im Hauptschiff werden der jüdische Tanach / das griechische Pentateuch mit ihren fünf Büchern Mose in deren theologischer Bedeutung kursorisch durchwandert; in Nebenschiffen lagern die Schriftrollen der Propheten, während die Bücher der Könige mit archäologischen Querverweisen verknüpft werden, um eine historische Einordnung vorzunehmen und den Konstruktcharakter biblischer Texte zu verdeutlichen. Vorbei an zahlreichen kunstgeschichtlichen Bild-Zitaten gelangt man in ein Archiv der Bibliothek und erfährt von der Entstehungsgeschichte des Alten Testamentes. Die Schriftrollen von Qumran dienen dabei als späte Beglaubigung eines Stückwerkes, das um 400 vor Christus zusammengeführt wurde, um eine monotheistische Religion zu etablieren. Wie dieses (im Weiteren durch vier Evangelien, Briefe und einen apokalyptischen Text ergänzte) Stückwerk in seiner religiösen Dimension an Leser_innen herangetragen werden kann, zeigt Georg Langenhorst, der durch seine Textauswahl sowie das Textarrangement eine Chronologie der biblischen Ereignisse herstellt. Dieses explizit narrative Moment erweitert er durch die Miteinbeziehung zahlreicher lyrischer Passagen, sodass sich auch der literarische Charakter der Ursprungstexte in seiner Kinderbibelversion spiegelt. Die auch mit knappen Kommentaren den Fließtext immer wieder unterbrechenden Erzähler_innen Maria und Thomas schaffen des Weiteren Querverweise und verdeutlichen, wie sehr die biblischen Texte aufeinander bezogen sind. Über diese kluge Konzeption hinaus jedoch dürfen die Illustrationen von Tobias Krejtschi als Besonderheit im Kontext von Kinderbibel-Ausgaben gelten. Sie formulieren eine klare Absage an eine unbestimmte, bunte, freudig bevölkerte Kinderbibel-Bilderwelt. Vielmehr verweist Krejtschi durch zahlreiche moderne Requisiten, die in stilisierte historische Settings integriert werden, auf eine aktuelle Bedeutung der aus der Zeit gefallenen Ereignisse. Mit seinem präzisen, flächigen und farbreduzierten Stil verdeutlicht er dabei den explizit menschlichen Charakter des biblischen Erzählens über Gott. Siehe weiters: Thomas Römer: Die Geschichte der Bibel und die Erfindung des Monotheismus
Personen: Krejtschi, Tobias Langenhorst, Georg
JP Lan
Langenhorst, Georg:
Kinderbibel : die beste Geschichte aller Zeiten / Georg Langenhorst. Mit Ill. von Tobias Krejtschi. - Stuttgart : Kath. Bibelwerk, 2019. - 208 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-460-24512-9
JP - KuJ-Sachbuch