Ruhelose Heimatsuche mit Zwischenstationen - ein Emigrantenschicksal aus ironischer Kinderperspektive. (DR) *f42* Eine russisch-jüdische Familie entflieht Anfang der siebziger Jahre dem alltäglichen und staatlichen Antisemitismus der damals noch real existierenden Sowjetunion und emigriert nach Israel. Treibende Kraft in Sachen Auswanderung ist der Vater, der jedoch bald erkennen muss, dass seine Vorstellungen von einem gleichsam idealen Staat ohne bürokratische Einengung und latente Ungerechtigkeiten auch in Israel keineswegs der gesellschaftlichen Realität entsprechen. Das Gelobte Land wird keine neue "Heimat", vielmehr ist es Ausgangspunkt für eine mehr als zehn Jahre dauernde Odyssee, die die Eltern und den heranwachsenden Sohn quer durch Europa führen wird. Auch die USA sind eine der vielen Zwischenstationen. Die Familie landet dort aber erst recht im Netz der Einwanderungs- und Sozialbehörden. Sie kann sich erst nach Jahren, im zweiten Anlauf, in Wien etablieren. Der 1966 in Leningrad / St.Petersburg geborene Autor Vladimir Vertlib erzählt - wie schon in der 1995 erschienenen Erzählung "Abschiebung" - noch einmal seine bewegte Kindheitsgeschichte. Er wählt für seine Geschichte einen ungewöhnlichen Erzähler, den heranwachsenden Sohn der Familie. Dieser ist anfangs fünf Jahre alt, lernt in der Vorschule am Stadtrand von Tel Aviv patriotische Lieder und versucht sich den gestrengen Augen der Erzieherin zu entziehen. Gegen Ende des Romans ist er fünfzehn und bekommt Probleme in der Boston Public Library wegen seiner Sozialversicherungsnummer. Dazwischen entfaltet sich eine Emigrationssaga, geprägt von Geld- und Wohnungsnot, zeitweiliger Illegalität und ständiger Unsicherheit und immer wieder ablaufenden Fremdenpässen. Eine traurige Geschichte, möchte man meinen. Dass dem nicht so ist, liegt an der Perspektive des jugendlichen Erzählers. Mit unvoreingenommenem Blick schildert er die Menschen und Orte und erzählt mit gespielter Naivität von den oftmals turbulenten Umständen dieser Heimatsuche. Unspektakuläre Beobachtungen wechseln sich ab mit zuweilen hinreißenden Dialogpassagen, wunderbar komische Situationsbeschreibungen rücken die oftmals tragischen Geschehnisse in eine ironische Distanz. Ein typisches Emigrationsschicksal, souverän eindringlich und dennoch mit humorvoller Leichtigkeit erzählt. Vladimir Vertlib schildert in seinem Roman aber auch einen wesentlichen Teil jüdischer Geschichte. Dieser Aspekt der Zeitgeschichte wurde in den "Zwischenstationen" wohl das erste mal literarisch mit solcher Nähe behandelt. - Überaus lesensert und für alle Bibliotheken geeignet! Für alle, die sich gerne vorlesen lassen, sei noch eine CD-Empfehlung angefügt: Ausschnitte aus den "Zwischenstationen", gelesen vom Autor, sind auf einer CD zu hören, zu beziehen über den Verlag Waku Word, Amlacher Str. 12, Tel. 04852-64343, A-9900 Lienz. *bn* Michaela Hasenauer
Personen: Vertlib, Vladimir
DR/VER Ver
Vertlib, Vladimir:
Zwischenstationen : Roman / Vladimir Vertlib. - Wien : Deuticke, 1999. - 293 S.
ISBN 978-3-216-30455-1 fest geb. : ATS 248,00 / Eur 18,00
DR - Dichtung/Belletristi