Das größte Kapital, das neben der sprichwörtlichen Kohle mit den Mächtigen mitmarschiert, ist jener Schatz an Geschichten, den zu heben und zu erleben nur Eliten imstande sind. Den Adel hat seinerzeit nicht so sehr die Aberkennung von Titeln und Gütern geschmerzt als vielmehr das Ausbleiben von Geschichten, worunter die auf ein normales Leben Zurückgestutzen fortan zu leiden hätten. Bernhard Setzwein, der großartige Chronist des Bayrischen und Böhmischen Waldes, erzählt am Beispiel des "böhmischen Samurai", wie das Leben plötzlich den Teppich unter den Füßen der Helden einrollt und anderen ausrollt. Die an den roten Teppich gewöhnten Adeligen stehen plötzlich im Letten eines Anhaltelagers und verstehen die Welt nicht mehr, wo sie doch ein Leben lang nur Gutes getan haben. Der Roman erzählt die Installation des Grafen Hansi aus Ronsberg und seinen Abstieg, als er sich im Letten eines Lagers in Chraslavice wiederfindet. Miterzählt wird freilich die Aktivität des Geschlechtes Coudenhove-Kalergie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Auftritt des Hansi ist spektakulär, er ist nämlich ein Halbjapaner und wird später ungeniert vom Lagerleiter Schlitzauge genannt. Alle Ereignisse treten zuerst im fürstlichen Gewand auf, wenn der alte Graf mit seiner japanischen Frau auf das Gut zurückkehrt, wenn die sieben Kinder eine hervorragende Erziehung genießen, wenn das Land von den Hobbys der Herrschaften profitiert und prosperiert, wenn die künftige Gemahlin als erste Frau der Monarchie eine Etrich-Taube fliegt, und gleichzeitig ist alles eine Schnurre, wenn Hansi dem Lagerleiter gegenübersteht und alles erzählen soll. Vor allem, dass er als Deutscher mit den Deutschen zusammengearbeitet haben solle, kommt ihm nicht so recht in den Sinn. "Ich bin Supranational!" (251) Aber die internationalen Verhältnisse erlauben kein supranationales Handeln, wie das Verhältnis der japanischen Gräfin zu Europa zeigt, zuerst exotische Diplomatie, dann Feind im Ersten Weltkrieg, dann Verbündete im Zweiten Weltkrieg, so schnell kann man sich gar nicht anpassen, dass es nicht schon wieder zu spät wäre. Anhand der großen Weltlage zeigt sich, dass es weder für Herrscherhäuser, Diplomaten noch gar für das Individuum möglich ist, als deutschsprechender Tscheche durch die Zeit zu kommen, ohne nicht am Schluss von den Benesch-Dekreten erwischt zu werden. Graf Hansi macht das, was Schwejk schon mustergültig vorgelebt hat, er nimmt alles wörtlich und wird dadurch immer ausgegrenzter. Am Schluss spielt er den politischen Narren nur noch für sich selber, weil niemand mehr da ist, der ihm glauben könnte. (381) Bernhard Setzwein macht mit dem böhmischen Samurai eine Erzähl-Kiste auf, die randvoll mit verschmitzten, sympathischen und originellen Geschichten ist. Die Helden nämlich wissen um die Fragilität ihres Tuns und spachteln daher viel Erzähl-Kitt auf, wenn es gilt, Ungereimtheiten zu überbrücken. Und die wahre Tragkraft politischer Geschichten zeigt sich dann nach dem Umsturz, wenn im neuen Regime der Erzähler alles im Lehm der neuen Zeit stehend beichten muss. - Eine schwejkiadische Geschichtsschreibung. Helmuth Schönauer
Personen: Setzwein, Bernhard
DR Set
Setzwein, Bernhard:
¬Der¬ böhmische Samurai : ; Roman / Bernhard Setzwein. - Innsbruck-Wien : Haymon, 2017. - 444 S.
ISBN 978-3-7099-7286-1 fest geb. : ca. Eur 22,90
Romane, Erzählungen und Novellen - Buch: Romane, Erzähl