Ein Buch, das nur einen Titel hat und keine Gattungsbezeichnung aufweist, scheint auf den ersten Blick ziemlich verloren, in Wirklichkeit aber macht es uns Leser zuerst verloren, ehe wir dann bei der Lektüre wieder Fassung kriegen. Karl-Markus Gauß hat so etwas wie die Kunst des Abfüllens von Gegenwart entwickelt. Ehe die unmittelbare Zeitgeschichte in die Hand von Archivaren und historisierenden Kommentatoren gelegt wird, fasst der Autor zusammen, was ein Mensch in den letzten drei Jahren hätte mitkriegen können, wenn er zwischendurch die Sinnesorgane aufgemacht und hinter die gestylten Sätze der Öffentlichkeit geblickt hätte. Als Quellen der Beobachtung dienen Reisen, Lektüren, Alltagsszenarien und vor allem ergreifende Sätze und Darstellungen in allen Medien. Der Titel "Ruhm am Nachmittag" geht auf die Darstellung des Amoklaufs in Winnenden zurück, wo unter anderem die Überlegung auftaucht, ob man für die verrückte Medienwelt nicht immer noch spektakulärere Aktionen setzen muss, um wenigstens für einen Nachmittag erwähnenswert zu sein. Dieser Geschwindigkeitsrausch in den Medien, das Aufgeilen eines Sachverhalts auf einen Spot hin führt beispielsweise zu dem schönen Slogan in den Salzburger Nachrichten: "Golfen, schlemmen helfen." (248) Auch der Autor kommt in den Genuss dieses Designs, indem man ihn ungefragt in eine Society-Lounge hinein knipst oder ihn generell falsch zitiert. Aus diesem missverständlichen Zitieren heraus hat sich Karl-Markus Gauß angewöhnt, einen Mix aus erzählenden Figuren an die Geschichten heranzulassen. Erzählt wird etwa als kühles "sie beide", als "er" fast im Sinne Kafkas, als Ich, wenn es etwa um das Lektorieren der Zeitschrift Literatur und Kritik geht oder als Krimi-Verstümmelung, wenn Nonsens aufs Tapet gebracht werden muss. Nichts ist in der Gegenwart so schlimm wie diese Krimi-Flut, die in alle Fugen unserer Wahrnehmung hineinzukriechen scheint. Dem Krimi kann man daher nur mit Verhöhnung begegnen. Manchmal wird ein Gedankengang mit Geduld und über Seiten entwickelt, ehe er in einen Satz mündet, der sich eben leicht zitieren lässt. "Alles wird schneller, dafür brauchen wir länger." (193) Zum Studium des Geldwesens und der Fiktion empfiehlt der Autor, man möge keine Wirtschaftstheorien vorstellen sondern einfach einen x-beliebigen Hochstapler vorführen, nur Hochstapler verstehen etwas vom Bankensystem. Die Außensicht auf Österreich entsteht durch innige Reisen nach Bukarest oder Albanien, dabei macht es Sinn, Österreich nicht abzuschütteln in Verdrängung sondern bewusst als Kontrapunkt der offenen Welt mitzunehmen. Und als das größte Rätsel der Nuller-Jahre erweist sich schließlich der schmallippige Ex-Kanzler Schüssel, der das Land im Privatisierungswahn vernichtet hat und eine Spur von Korruption und Larifari-Kapitalismus hinterlassen hat, während er sich schweigsam aus dem System geschlichen hat. Karl-Markus Gauß verdichtet die letzten Jahre zu einem Tableau voller Sittlichkeit, worüber man wie von selbst zu diskutieren beginnt. Als Leser hat man viele der dargestellten Ereignisse erlebt, aber erst jetzt, durch den Ruhm des Nachmittags vermag man manches zu verstehen oder überhaupt erst auszuhalten. Helmuth Schönauer
Personen: Gauß, Karl-Markus
Standort: Bibliothek
DR Gau
Gauß, Karl-Markus:
Ruhm am Nachmittag / Karl-Markus Gauß. - Wien : Zsolnay, 2012. - 282 S.
ISBN 978-3-552-05567-4 fest geb. : ca. Eur 20,50
DR - Belletristik