Annotation: Schillers berühmte Ballade hat Dieter Wiesmüller in prächtige, großformatige Bilder gegossen. Ohne Text - der Wortlaut ist auf den ersten Seiten abgedruckt - kann der Betrachter eintauchen in einen spektakulären Farbenrausch in Grün- und Blautönen, bei dem das Wasser die Hauptrolle spielt. Rezension: Er ist einer der berühmtesten deutschen Dichter, Vordenker, für viele Vorbild, in Themen und Fragestellung bis heute aktuell: Friedrich Schiller. Anlässlich seines 250. Geburtsjahres erscheinen zwei seiner Balladen in neuem Gewand: Willi Glasauer (bei Kindermann) und Dieter Wiesmüller (bei Carlsen) haben den "Taucher" illustriert, Jenny Brosinski "Die Bürgschaft" (bei Kindermann) - drei künstlerische Umsetzungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Naturalistisch präzise, im Wechsel zwischen Totale und Detailansicht, sind die Bilder von Willi Glasauer Bühne für großes Theater, bei dem sich, was passiert, vor allem im Publikum widerspiegelt. Da werden Hände gerungen und vor den Mund geschlagen, Menschen schauen entsetzt in den Abgrund, in den der Taucher kühn springt, der Jubel ist groß, als er den goldenen Becher überreicht. Doch als der Herrscher die Mutprobe, die auch Liebesbeweis und Machtkampf ist, ein zweites Mal einfordert und so das Schicksal versucht, mischt sich ein Narr unters Volk. Das letzte Bild zeigt die Menge, wie sie mit hängenden Köpfen ihrem verblendeten König-hoch-zu-Ross hinterher trottet, während die dessen vergeblich am Steilufer wartet. Aus Menschensicht also, nah am Text, in Strich, Duktus und Ton der Dramatik der Worte angemessen wo nicht untergeordnet, illustriert Glasauer so zurückhaltend wie feinsinnig. Damit würdigt er nicht nur den Dichter, sondern betont zugleich Modernität und Zeitlosigkeit des Inhalts. Denn der braucht keine Ergänzung im Bild, keine Aktualisierung, wenn die Frage bis heute bleibt, was die größere Hölle sei: die Ungeheuer des Wassers oder das Ungeheuer Mensch. Einen anderen Blickwinkel wählt Dieter Wiesmüller. Sein "Taucher" ist malerischer Farbenrausch, Schwelgen in Grün- und Blautönen mit klug gesetzter Licht- und Dunkelregie. Monumentale, doppelseitige Bilder ohne jeden Text (der Wortlaut ist auf den ersten Seiten abgedruckt) gewähren Freiräume für eigene Gedanken und Gefühle, der Gestus ist heroisch, gerade an den wenigen Stellen, an denen Figuren ins Spiel kommen. Das Volk, frontal, wie eine Wand vor die Stadtmauer gestellt, der König zu archaisch rot gewandeter Statue erstarrt, sind Statisten. Die Hauptrolle spielt das Meer in einer spektakulären Wasserstudie. Tosend, mit enormer Sogwirkung und hohem Wellengang, probt es den Aufstand. Den tiefsten Tiefen (des Schicksals) ausgeliefert, bleibt der Mensch davor, darin winzig klein. In einer Interpretation, die aufs Unheimliche setzt, und den Betrachter eintauchen lässt in unbezähmbares Element, Sinnbild des Unbewussten. Wiederum andere Akzente setzt Jenny Brosinski mit der "Bürgschaft". Schon auf der ersten Seite zeigt sie den Tyrannen als Witzfigur mit Hermelin über Dickbauch in Obelix-Längsstreifen-Look. An den Wegweiser zu Dionys pinkelt ein Hündchen, allerlei Getier hüpft durchs Bild, Damon und sein Freund tauschen Ritterrüstung gegen Sporttrikots, schnuppern, den Ernst der Lage verkennend, an Blümchen, die Schwester, die vor Vollstreckung des Todesurteils verheiratet werden soll, denkt nicht dran und tönt "Nö", der Ziegenbock macht "Möh", als der Held auf dem Rückweg von Unbill zu Unbill stolpert, sich mit Räubern kloppt, dabei Zeit vergeudet, verbeulten Drahtesel gegen Kuh eintauscht, aber zuletzt doch den Freund rettet. Respektlos-anarchisch konterkariert die Berliner Künstlerin den Inhalt, gibt ihn in seiner schicksalsträchtigen Zuspitzung zuweilen der Lächerlichkeit preis und verweigert jegliche Heldenverehrung: die Schillers genauso wie die seiner Figuren. Die werden allenfalls zu Lausejungen mit aufgeschlagenen Knien, in einer Umsetzung, die munter vom Sockel stößt, auf bildnerischer Ebene kalauert, und lieber eine eigene, mit Versatzstücken unserer Zeit gespickte Geschichte erzählt. Trotzdem. Dass mancher Einfall zur Floskel gerät und mancher Witz zum Haha-Effekt, legt die Frage nahe, was diese Interpretation will: genüsslich demontieren? Lustig aktualisieren? Unverbildeten (Kinder-)Blick auf großen Stoff und zeitlose Werte riskieren? Oder Schiller einfach einmal ganz anders präsentieren? Was sie schafft ist eine Art Schiller-Spiel-Wiese. Auf der lässt sich unverblümt und, gerade aufgrund der Brüche zwischen Wort und Bild, auf gleicher Augenhöhe betrachten und ausprobieren, was Schiller heute (noch) zu sagen hat. Und das ist eine Herangehensweise, die immer lohnt. Besonders, wenn Interpretationen so unterschiedlich ausfallen wie diese drei. Ein spannender Geburtstagsgruß! *ag* Christine Knödler
Personen: Wiesmüller, Dieter Schiller, Friedrich
¬Der¬ Taucher / Friedrich Schiller / Dieter Wiesmüller. - Reinbek bei Hamburg : Carlsen, 2009. - [38] S. : überw. Ill.
ISBN 978-3-551-51716-6 fest geb. : Eur 20,50
Bilderbuch - Bilderbuch