Böhme, Gernot
Feuer Wasser Erde Luft Eine Kulturgeschichte der Elemente
Buch

Kurzbeschreibung
"Das lesenswerte Buch ist geistesgeschichtliche Enzyklopädie und packendes Plädoyer zugleich: Die Böhmes brechen eine Lanze für die Besinnung auf die Natur als Grundlage der Gefühle für ihre unverlierbare Spur auch noch in den geistigsten Begriffen ein philosophisches Ereignis." Andreas Weber, DIE ZEIT

Neue Zürcher Zeitung
Unnatürliche Probleme mit der Kultur

Eine problematische «Kulturgeschichte» der Vier Elemente

Von David Gugerli

Von Prometheus bis zu Frankenstein, von Ikarus bis zu Batman - stets war das Verhältnis der Menschheit zu ihrer Natur Gegenstand mehr oder weniger scharfsinniger, sicher jedoch ausufernder und oft waghalsiger Reflexionen. Schöpfungsmythen, poetische Verklärungen, theologische Entwürfe und philosophische Systeme haben sich mit grimmigem Vorsatz immer wieder von neuem die Aufgabe gestellt, das schwierige Verhältnis zu klären. Sie sind dabei ebenso häufig der Scylla des Konstruktivismus wie der Charybdis des Naturalismus anheimgefallen. In der schmalen Strasse von Messina toben eben manchmal hässliche Stürme, und wer die in der Seefahrt, in der Theologie und in der Philosophie geltenden Sicherheitsregeln missachtet, der ist verloren, geht in den Wellen der natura naturans oder in den Wogen der natura naturata unter.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, hat uns Friedrich Hölderlin getröstet, er, der Natur mehr als andere in philosophisch, theologisch und mythologisch inspirierte Verse kunstvoll eingeschrieben hat. Das natürliche und menschliche Werden im Vergehen suchte der Dichter just zu der Zeit noch in Oden und Elegien aufzuspüren, als sich Lavoisiers Experimente bereits durchzusetzen begonnen hatten und sich das Verbindende zwischen menschlichem Dasein und natürlichem Vorhandensein den Regeln analytisch trennender Chemie unterwerfen musste. O nicht mehr etwa für Ode, O vielmehr und bis heute für Sauerstoff. Ausgedient hatten nun Empedokles und Paracelsus, Galen und die Lauteren Brüder, auf verlorenem Posten standen die Alchemisten.

Der Bruch um 1800

Der Bruch um 1800 hätte schlimmer nicht sein können. Zweieinhalbtausend Jahre kultivierter Natur ohne ausgefeiltes Recycling- oder Kompostierprogramm. Nicht einmal die Vier Elemente waren mit dem grünen Punkt versehen gewesen, keine naturphilosophischen Gütesiegel und Reinheitsmarken schützten sie vor philosophischer oder lebensweltlicher Bedeutungslosigkeit. Was unter den wehenden Fahnen von technisch-wissenschaftlichem, bald auch industrialisiertem Fortschritt menschlicher Rationalität den Weg ebnete, hatte wenig Sinn für die zwar ganzheitlichen, dafür aber um so spekulativeren Wahrnehmungsweisen der Alten. Naturbeherrschung war angesagt, und dies bald auf der ganzen Welt.

Zweihundert Jahre sind seit diesem Bruch vergangen - und die Bilanz ist wenig ermutigend, vor allem wenn wir an Umweltschäden und an sich verknappende Ressourcen denken. Wir wissen bloss, dass die Ökokrise eine hausgemachte Krise, eben die Krise unseres «oikos» ist. Anders als der grosse Pestzug von 1348/49 lässt sich der drohende Kollaps von Ökosystemen beim besten Willen nicht mehr als Gottesstrafe interpretieren. Er ist weder theologisch noch philosophisch begründbar, sondern einzig und allein dadurch verständlich zu machen, dass man ihn als historisch gewachsene Folge einer ganz bestimmten, gesellschaftlich geprägten Art, mit Natur umzugehen, betrachtet.

Schliessen wir eine esoterisch-eskapistische Reaktion darauf aus, dann stellt sich uns vielleicht auch die Frage, wie es denn überhaupt zum modernen Bruch im Verhältnis Menschheit - Natur gekommen sei, welches Naturverständnis ihm vorangegangen war, wie sich das Neue vom Alten unterschied. Eine genaue historische Analyse der Entwicklung von Naturvorstellungen im kulturellen Wandel könnte hier Aufklärung bringen. Die bei C. H. Beck in München erschienene Monographie von Gernot Böhme und Hartmut Böhme mit dem Titel «Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente» kommt also rechtzeitig und wunschgemäss auf den Markt.

Problembeginn

Der erste Blick auf das etwas konfuse Inhaltsverzeichnis macht einen zwar nicht klug, verstärkt aber immerhin den Drang, sofort mit der Lektüre anzufangen. Doch dann beginnen die eigentlichen Probleme. Dass die Autoren sehr weit zurückblicken, ist an sich erfreulich. Und besonders vielversprechend ist ihr Vorhaben, die Mythologie der Elemente in Ovids Metamorphosen, an einem, «historisch gesehen, schon relativ späten Verdichtungspunkt» unter die Lupe zu nehmen. Aber irgendwie schaffen sie von dort den Take-off nicht mehr. Gewiss, man lernt ungeheuer viel über die Naturvorstellungen des römischen Dichters, staunt über die Vielfalt seiner Bezüge, den Reichtum seiner Metaphorik, die spielerische Präzision seiner Sprache. Nur ist die Leserschaft wohl nach einem Drittel des Buches, das sich um Ovids Metamorphosen dreht, einigermassen erschöpft und fragt sich, wie sie von den Autoren je zu dem in der Einleitung erwähnten «Ende der Naturphilosophie» um 1800 geführt werden soll.

Das zweite Kapitel des Buches ist in dieser Beziehung nicht ermutigender, denn in ihm wird man vom augusteischen Zeitalter ins fünfte vorchristliche Jahrhundert, zurück zu Empedokles und zu Platon, geführt. Erst jetzt geht es wieder in die andere Richtung, dafür nun plötzlich sehr schnell. Auf wenigen Seiten wird man über Aristoteles und die Lauteren Brüder zur Alchemie katapultiert, der Böhme und Böhme dann allerdings deshalb keinen eigenen Abschnitt widmen, weil in ihr die Vier-Elementen-Lehre keine selbständige Rolle gespielt habe.

Die im Rahmen der Studie viel zu detailreiche Analyse des Naturverständnisses in der Antike wird mit einem Zitat aus John M. Stillmans Alchemiegeschichte von 1924 brutal verlassen: «Mit einigen wichtigen Veränderungen durch Platon und Aristoteles wurde die von Empedokles übernommene Lehre von den vier Elementen die allgemein akzeptierte Theorie der Materie, bis» - bitte festhalten, wir fliegen in die Zukunft - «im 16. Jahrhundert die rivalisierende Lehre von den drei Prinzipien, den des Paracelsus, auftauchte.» So mag man 1924 noch Wissenschaftsgeschichte betrieben haben, aber nicht einmal die 1960 erfolgte Neuauflage von Stillmans Buch ist ein guter Grund dafür, sich mit solchen Verkürzungen zufriedenzugeben.

Böhme und Böhme haben damit keine Probleme («wegen der traditionsbestimmenden Kraft» der von ihnen behandelten «Hauptstationen der Wissenschaftsgeschichte»). Mit Leichtigkeit können sie auch Robert Boyles Schrift «The Sceptical Chymist» von 1661, mit der immerhin zum erstenmal die Frage nach der Existenz von Elementen zu einem empirischen Problem wurde, auf knapp zwei Seiten erledigen. - Das Buch erfüllt damit die in der Einleitung formulierten Ansprüche kaum, am wenigsten dort, wo den Lesern und Leserinnen versprochen wird, die «mentalen und kulturellen Muster verständlich [zu] machen, in deren geschichtlicher Folge eine ebenso naturzerstörerische wie menschenverachtende Dynamik entstanden ist, deren globale Auswirkungen es heute zu verantworten und zu revidieren gilt».

Welches Genre?

Zweifel mögen auch berechtigt sein an der Wahl des Genres der Studie. Wenn gelten soll, dass «jede Natur, von der man einen Begriff hat», «als solche kulturell geprägt ist», dann ist es tatsächlich sinnvoll, eine Kulturgeschichte der Natur zu schreiben. Nur fragt man sich, spätestens nach Luhmann, wie sich Begriffsbildung und ihre kommunikative Vermittlung, eben: Kultur ohne Gesellschaft denken lässt. Gerade von einer Sozialgeschichte der Natur nehmen die Autoren aber gleich zu Beginn ihres Buches Abstand, weil diese die Geschichte der konkreten Natur, insofern sie durch den Menschen praktisch bestimmt werde, nicht erfasse und weil ihr - genannt wird Serge Moscovicis Versuch über die menschliche Geschichte der Natur - in der sozialgeschichtlichen Prägung der Begriffe von Natur «die Geschichte der ästhetischen und symbolischen Formen der Natur entgehe». Das Unternehmen wird daher als Vermittlung zwischen Begriffshistorie und Umweltgeschichte angesiedelt. Angesichts des traditionellen ideengeschichtlichen Zugangs der Autoren ist man deshalb erstaunt zu hören, dass eben dies eine Kulturgeschichte sein soll.

Die Verwirrung hat damit jedoch noch keineswegs ihr Ende. Die Behauptung, «die Ausgrenzung der Elementenlehre aus den Naturwissenschaften» habe «keineswegs nur rationale Gründe», sondern «beruhe auf Verdrängungen, welche zur Mitursache der Umweltkrise» gehören, mag noch nachvollziehbar sein. Wenig einleuchtend scheint dagegen die Annahme, ein Rückgriff auf «Mythen und Philosophien, Bilder und Gedichte, Phantasmen und Erkenntnisse, Praktiken und Techniken des Wassers und der Erde, der Luft und des Feuers», auf «Dimensionen des elementarischen Denkens» könnten ein «Umdenken und Umlenken des zerstörerischen Naturumgangs» fördern.

Diese Annahme ist es wohl, welche zwischen die hermeneutisch sauberen, wenn auch wenig kohärent verknüpften Teile der Studie immer wieder esoterische Abschnitte einfliessen lässt. So etwa, wenn wir lesen: «Das zarte Aufdämmern des ersten Lichts am Morgen lässt immer neu die Welt erscheinen: licht werden. Die treffenden Worte sind, in ihrem Einleuchten, ein Aufscheinen der Wahrheit. Der Schimmer, in welchem die Dinge gelagert sind in ihrem eigentümlichen Für-Sich. Das Strahlen, in welchem die Fülle des Seienden, unserer unbedürftig, sich präsentiert.» Oder aber in den - tatsächlich - «unzeitgemässen Vorbemerkungen» zu Gefühl und Wahrnehmung bei Lukrez: «Gefühle haben ihr Wetter. Das ist die Weise ihrer Präsenz und ihres Sich-Mitteilens. Um ihr Machtvolles und Umfangendes zu betonen, sollte man deutlicher sagen: Gefühle . Darin ist die Doppelheit festgehalten, dass Gefühle eine mal mehr konstante (klimatische), mal mehr rasch wechselnde (wettrige) Atmosphäre mit sich führen, wie auch, dass sie gespürt, nämlich ähnlich wie verströmende Gerüche werden und als solche uns aufgehen. Gefühle sind Atmosphären.» - Vous avez raison, M. Latour, nous n'avons jamais été modernes. -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Böhme, Gernot

Leseror. Aufstellung: Naturwissenschaft

Schlagwörter: Erde Wasser Feuer Luft Kulturgeschichte Elemente

Böhme, Gernot:
Feuer Wasser Erde Luft : Eine Kulturgeschichte der Elemente / Gernot Böhme; Hartmut Böhme. - 2. Aufl. - München : Beck, 2010. - 344 S. : s/w ; 19 x 12 cm
ISBN 978-3-406-61484-2 kt. : EUR 18,95

Zugangsnummer: 2011/0345 - Barcode: 2-6185127-4-00000841-9
Naturwissenschaftliches Weltbild, Philosophie der Naturwissenschaften - Signatur: Naturwissenschaft - Buch