Weshalb kommen im Himmel neben den Erlösten noch Engel vor, obwohl alle heilsgeschichtlichen Aufgaben erledigt sind? Die Anfangsvermutung bestand darin, dass beide Gruppen im Direktvergleich zueinander stehen. Ein kurzer Blick in andere Religionen zeigte, wie verbreitet das Motiv der Konkurrenz zwischen Menschen und Göttern ist. Im Christentum werden die polemischen Formen Vernichtung (Sintflut) und Überlistung (Prometheus) durch die subtilere Art der Konkurrenz zwischen Menschen und Engeln abgelöst. Drei Formen hiervon wurden aufgezeigt: Erstens die Engel der Christusmandorla: Die Engel, die im Himmel Gott loben, sind nicht an der Begleitung und Bewahrung der Menschen beteiligt. Sie führen den Menschen zudem vor Augen, dass Gottes Heilsgeschichte nicht zwangsläufig abläuft und die Menschen nicht das Alleinmotiv der Heilsgeschichte bilden. Durch die Rede von liturgischen Engeln schützt sich ein religiöses System gegen Anthropozentrik. Zweitens die Teufel rechts im Gemälde: Die bösen Engel waren entstanden, weil sie sich gegen Gott entschieden haben. Als Motiv für den Widerspruch kam der Neid auf Christus in Betracht. Neid, weil Gott Mensch wird und nicht Engel und weil er damit ein materielles Wesen den spirituellen Wesen vorzieht. Der Teufel kritisiert Gottes Ratschluss und unterstellt ihm Willkür: Durch die Rede von den bösen Engeln schützt sich ein religiöses System vor der Versuchung, Transzendenzhöhe mit Gottesnähe gleichzusetzen. Drittens die Engel links im Gemälde. Sie tragen den einfachen Heiligenschein, die Seligen hin gegen das zusätzliche Siegeskränzlein (Gloriole als Zeichen ihrer Freude über sich selber, über die gelungene Lebensgeschichte und die unerwartbare Vollendung. Durch die Rede von den Seligen - im Unterschied zu den Engeln - schützt sich Religion vor der Sedimentierung ihrer eigenen Erwartungen und garantiert Überraschungsfähigkeit.

---

---

Personen: Hafner, Johann Evangelist

Schlagwörter: Engel Mensch Himmel Heilsgeschichte Anthropozentrik