Mit großem Einfühlungsvermögen schildert der junge britische Autor das Scheitern einer Familie.
Dass es in manchen Familien Lieblingskinder gibt, ist gar kein so seltenes Phänomen. Dass aber ein Pflegekind dem leiblichen Sohn vorgezogen wird, ist wohl ungewöhnlich. Diese schmerzliche Erfahrung muss der Ich-Erzähler machen. Abwechselnd schildert er die traumatische Erfahrung des Zurückgesetztwerdens unmittelbar aus der Perspektive des Achtjährigen, dann in der reflektierenden Rückschau, als er nämlich als 28-Jähriger an das Krankenbett der krebskranken Mutter zurückkommt und sie bis zu ihrem Tod begleitet. Seine ursprüngliche Absicht, seine Mutter zur Rechenschaft zu ziehen und sich zu rächen, hält er angesichts ihres Zustands nicht lange durch. Am Ende stehen gegenseitiges Verstehen, Versöhnung und Trauer. Es ist eine der Stärken des Romans und zeugt von großem psychologischem Einfühlungsvermögen, dass keinem der Beteiligten die alleinige Schuld an der Eskalation und dem Scheitern zugewiesen wird. Man fühlt mit dem Jungen, der sich nicht abfinden kann, dass seine Mum sich scheinbar oder tatsächlich mehr zu dem 12-jährigen Pflegekind Robert hingezogen fühlt. Man kann verstehen, dass er als Ventil für seine Eifersucht sich selbst verletzt, die Hauskatze quält, ja dass er am Ende den schweren, zum Tode führenden Unfall des Rivalen verschuldet und es erscheint durchaus plausibel, dass er sich als Erwachsener in zwanghaft-leichtfertiger Weise der Liebe von Frauen versichert - nur um sich selbst zu bestätigen. Man kann auch die Mutter nicht rundweg verurteilen, hat sie doch im Laufe der Jahre neun Kinder aus schwierigen Verhältnissen gerettet. Verständnis hat man wohl auch für den schwachen Vater, der dem Jungen nur versteckt den Rücken zu stärken wagt. Beeindruckend die psychologisch überzeugende Gestaltung der einzelnen Charaktere sowie die stimmige Konzeption des Plots, aber auch die enorme erzählerische Kraft und Variabilität des bisher nicht hervorgetretenen Autors. Ein emotionaler, mitreißend geschriebener, sprachlich beeindruckender Debütroman. Unbedingt empfehlenswert! (Hervorragende Übersetzung durch Bernhard Robben)
Personen: Bauer, Jon
Bauer
Bauer, Jon:
Steine im Bauch : Roman / Jon Bauer. - 1. Aufl. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2014. - 365 S. ; 21 cm. - (Aus dem Engl. übers.)
ISBN 978-3-462-04652-6 fest geb. : 19,99
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