Jude und Noah sind nicht nur Zwillingsschwester und -bruder, sondern sie sind "NoahundJude": Bis zu ihrem 14. Lebensjahr unzertrennlich. Doch dann geschehen mehrere Ereignisse und seitdem sind Jude und Noah getrennt, wechseln kaum ein Wort miteinander und scheinen die Seelen vertauscht zu haben. Jude, die bis zu ihrem 14. Lebensjahr fröhlich war, wirkt eigenbrötlerisch und einsam. Noah, der einsam und verschlossen war, hat plötzlich Freunde und besucht Partys. Irgendetwas ist in der Zwischenzeit geschehen und erst nach und nach entfaltet sich die gesamte Tragödie im Leben der Geschwister. Der Roman kreist um Identitäten und um die Frage nach dem Ich. Noah mit seinen 13 Jahren ist voller Selbstzweifel, interessiert sich für Kunst und Jungs. Vor allem seine Homosexualität belastet ihn, denn er weiß nicht, wie er es seinen Eltern sagen soll. Er beneidet Jude um ihr Leben, das voller Normalität ist: Sie surft, besucht Strandparties, flirtet mit Jungs und ist beliebt. Die Zwillinge könnten nicht unterschiedlicher sein und dennoch quält beide die Frage nach dem eigenen Ich. Es geht auch um das Ausbrechen aus "NoahundJude". Formal setzt sich der Roman aus zwei Erzählerstimmen und zwei Zeitebenen zusammen, die sich langsam annähern und damit auch die Lösung für das Auseinanderdriften der Zwillinge preisgeben. Die Leser lernen zunächst Noahs dreizehnjähriges Ich kennen, später begegnen sie der 16-jährigen Jude und dazwischen liegen Welten. Noahs Traum die angesehene Kunstschule zu besuchen ist geplatzt während Jude angenommen wurde und sich durch Kunstseminare quält. Aber nicht nur das: Der 16-jährige Noah ähnelt so gar nicht dem 13-Jährigen und auch Jude hat mit dem selbstbewussten und fröhlichen Mädchen von damals wenig zu tun. Sie versteckt sich hinter unförmigen Sweatshirts, meidet den Kontakt zur Außenwelt und muss beobachten wie sich ihr Bruder immer wieder von den Klippen ins Meer stürzt. Lediglich mit ihrer toten Großmutter kommuniziert Jude und versucht mit einem Handbuch sich der verstorbenen Mutter zu nähern. Denn nicht nur die Ablehnung an der Kunstschule, sondern auch der plötzliche Tod der Mutter brachte das Leben der Familie durcheinander. Doch erst langsam wird klar, welche Lügen entstanden und die Familie nachhaltig prägten. Die Erzählperspektive ermöglicht es, zwei unterschiedliche Seiten der prägenden Ereignisse zu zeigen und so auch Widersprüchliches erzählen. Die Form korrespondiert mit der Thematik, denn die Zwillinge sehnen sich nach individueller Ganzheit und werden zu Beginn als eine Einheit eingeführt, die zu eng ist und aus der beide versuchen auszubrechen. Ich gebe dir die Sonne ist ein Roman, der sich mit unterschiedlichen Themen befasst: Identität, Sexualität, Kreativität, aber auch Schuld und Kunst. Neben Fragen nach Identitäten setzt er sich vor allem mit Kunst auseinander und lässt die Leser nachdenklich zurück. Denn schließlich geht es Jude und Noah um Kunst, den kreativen Prozess und die Freiheit, die Kunst offenbart. Ein mehr als lesenswerter Roman!

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Personen: Nelson, Jandy