Ein zorniger junger Mann fährt von Wien in die Heimat seiner serbischen Familie, erinnert sich an seine Kindheit im Krieg und klagt die Vätergeneration als Verbrecher an. (DR) Vulgär, brutal, großkotzig. Stinkende Kettenraucher. Frauen verachtende Machos. Am Sliwowitz hängende Spiegeltrinker. Wer die Passagiere im Überlandbus von Wien nach Belgrad so beschreibt, muss selber Serbe sein. Andernfalls würde man ihm unterstellen, er schüre übelste Vorurteile gegen die "Balkanesen". Der in Belgrad aufgewachsene Marko Dinic darf sich diesen schonungslosen Blick erlauben, zumal er auch zu sanfteren Tönen fähig ist. So schildert er die Geduld und Demut vieler Gastarbeiter, die sich kaputtrackern, um ihren Kindern ein besseres Leben in Deutschland oder Österreich zu ermöglichen. Der junge Ich-Erzähler, der nicht mit dem Autor in eins zu setzen ist, fährt mit dem Bus in das Herkunftsland seiner Familie, um am Begräbnis seiner Großmutter teilzunehmen. Die Reise weckt in ihm traumatische Erinnerungen an den Balkankrieg, der seine Kindheit überschattete. In nächtlichen Gesprächen mit einem mysteriösen, vielleicht nur geträumten Sitznachbarn, der vermutlich Schriftsteller ist, rechnet der Erzähler jedoch vor allem mit seinem Vater ab: Der Ministerialbeamte hat alle Regierungswechsel seit Tito unbeschadet überstanden und sich vom Kommunisten zum orthodoxen Nationalisten gemausert. Als "stummer Schurke, eines jener gesichtslosen Exemplare, ohne die kein von Menschen gemachtes System langfristig überleben könnte", vertritt er eine Generation, die "in den Neunzigern viel Scheiße gebaut" hat. Hinter dieser Formel verbergen sich nicht nur Eigennutz und Rückgratlosigkeit, sondern auch ungesühnte Kriegsverbrechen. Bei so viel Zorn und Bitterkeit sollte man den Grundton der Zärtlichkeit und tiefen Trauer in diesem Buch nicht überhören. Der 1988 geborene, heute in Wien lebende und auf Deutsch schreibende Marko Dinic versteht es, intensive und auch widerstreitende Gefühle mit großer Sprachkraft zu beschwören. Sein Romandebüt etabliert ihn als bedeutende Stimme der jungen Gegenwartsliteratur.
Personen: Dinic, Marko
Dinic
Dinic, Marko:
Die guten Tage : Roman / Marko Dinic. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2019. - 238 S.
ISBN 978-3-552-05911-5 fest geb. : 22,70 EUR
Schöne Literatur - Buch