Er heißt Ollie, aber nur Melody kennt den Namen ihres Goldfisches, den sie bei einem Jahrmarkt gewonnen hat. Gefangen in einem kleinen Glas, dessen Boden mit rosa Steinchen bedeckt ist, in denen ein Plastikbaumstamm steckt, schwimmt der Goldfisch immer im Kreis. „Ollie hatte ein schlimmeres Leben als ich. Wenigstens komme ich mal raus, wenn wir zum Supermarkt fahren oder wenn ich in die Schule gehe.“ Als Ollie eines Tages genug von seiner Gefangenschaft hat, endet sein Sprung aus dem Glas tödlich: Weil Melody wegen einer Zerebralparese ihren Körper nicht kontrollieren kann, nicht laufen, nicht allein essen und nicht sprechen kann, muss sie hilflos zusehen, wie Ollie erstickt. Auch Melody versucht sich in Sharon M. Drapers Roman aus den engen Grenzen ihres Lebens zu befreien. Zwar wird sie in einem liebevollen, wertschätzenden Umfeld groß, doch Familie ist nicht alles, zumal sich Melody wie jedes knapp elfjährige Mädchen zunehmend nach der Freundschaft und Anerkennung von Gleichaltrigen sehnt. Ein Computer, mit dessen Hilfe Melody auf Tastendruck sprechen kann, führt in der Mitte des Romans eine Wende herbei. Endlich kann die knapp Elfjährige zumindest einen Teil dessen, was an Worten und Wissen in ihr steckt, ihrer Umwelt vermitteln, und als sie in das Team für den Wettbewerb der Superhirne aufgenommen wird, scheint die Isolation durchbrochen. Doch so glatt lässt die Autorin ihre Geschichte nicht enden. Denn es gibt Grenzen, bei deren Überwindung auch der Computer nicht helfen kann. Drapers Roman ist mehr als das einfühlsame Porträt eines Mädchens, das um Akzeptanz und Anerkennung ringt. Indem die Autorin auch die Überforderung etwa von Melodys engagierten Eltern zeigt und die Hartnäckigkeit der Vorurteile, in denen Schulkolleginnen und Lehrer gefangen bleiben, weist der Roman über seine Protagonistin hinaus. Draper geht es generell um Beschränkungen, denen Menschen unterworfen sind oder denen sie sich unterwerfen. So gelingt es ihrem stark aus US-amerikanischem Blickwinkel erzählten Roman auch, seine eigenen regionalen Grenzen zu überschreiten.
Personen: Draper, Sharon M. Schröer, Silvia
JE
Dra
Draper, Sharon M.:
Mit Worten kann ich fliegen / Sharon M. Draper. Aus dem Amerikan. von Silvia Schröer. - Berlin u.a. : Ueberreuter, 2014. - 317 S.
ISBN 978-3-7641-7010-3 fest geb. : € 15,40
JE - Buch: Kinder- u. Jug