Eigentlich weiß man schon nach dreieinhalb Seiten Bescheid. Denkt man jedenfalls. Bett aus Kalifornien und Avery aus New York, beide zwölf Jahre alt, schreiben einander E-Mails. Ihre Väter sind schwul, haben sich auf einer Geschäftsreise ineinander verliebt, und nun ist es an den Mädchen, eine gemeinsame Zukunft als Patchworkfamilie mit allen Mitteln zu verhindern. Freundinnen oder gar Schwestern wollen Bett und Avery auf keinen Fall werden, nicht nur deshalb, weil sie grundverschieden sind. Gerade letzteres bringt Spannung, Komik und Tempo in die Korrespondenz, trotzdem ist klar, worauf alles hinauslaufen wird. Und dann – ist überhaupt nichts mehr klar. Die beiden Mädchen, die auf Wunsch ihrer Väter ein paar Wochen in einem Feriencamp verbringen müssen, werden sich zwar immer vertrauter und freunden sich schließlich an (obwohl sie anfangs nicht miteinander reden und ausschließlich per E-Mail kommunizieren). Aber dann wagen es die beiden Väter, sich einfach wieder zu trennen und die angedachte gemeinsame Zukunft allen Ernstes abzublasen … Was als scheinbar konventioneller E-Mail-Roman beginnt, entwickelt sich rasch zu einer brüllend komischen und zugleich tiefgründigen Geschichte, die die Rasanz und Komplexität shakespearscher Romanzen hat und voller Verwicklungen, Zufälle und überraschender Wendungen ist. Der Reiz der Korrespondenzsprache der beiden Protagonistinnen besteht in der Kombination von Detailreichtum, übertriebener Konkretion, Beiläufigkeit und einem hinreißend lakonischen Grundton, wobei den beiden so unterschiedlichen Mädchen trotzdem ein je eigener Ton zugedacht wird. Ergänzt wird die Kommunikation der beiden durch E-Mails und Briefe wichtiger und weniger wichtiger Nebenfiguren, die zwischen Betts und Averys Mails geschaltet werden und nicht nur dem dramaturgischen Aufbau der Geschichte dienlich sind, sondern das Buch auch um einige stilistische Ebenen ergänzen. Dass dies ein erfrischendes und erfreuliches Leseerlebnis zur Folge hat, ist nicht zuletzt der Übersetzerin Sophie Zeitz zu verdanken und ihrem feinen Gespür für die Sprache der korrespondierenden Figuren, die niemals künstlich oder bemüht gerät und zudem voller Wortneuschöpfungen ist. Mag sein, dass manches in der Geschichte etwas zu dick aufgetragen ist: einzelne Handlungselemente, die Zeichnung einiger Figuren, die stattliche Zahl der im Buch verhandelten Selbstfindungen. Das alles sind aber Marginalien – angesichts eines so warmherzigen, liebevollen und urkomischen Romans.
Personen: Seitz, Sophie Wolitzer, Meg Goldberg Sloan, Holly
Goldberg Sloan, Holly:
An Nachteule von Sternhai / Holly Goldberg Sloan ; Meg Wolitzer. Aus dem Engl. von Sophie Seitz. - München : Hanser, 2019. - 278 S.
Einheitssacht.: >to night owl, from dogfish
ISBN 978-3-446-26432-8 fest geb. : ca. € 17,50
Erzählungen 9-12 Jahre - Signatur: Ju 2 Goldb - Buch