Eine Großmutter, die Zigarren raucht und den verwaisten Enkel mit Schauergeschichten tröstet: Die französische Comic-Künstlerin lässt ihre Transformation des 1983 unter dem Titel „The Witches“ erschienenen Romans während der Trauerfeier für die Eltern der kindlichen Hauptfigur einsetzen. Im Roman Ich-Erzähler wird er hier zu jener Figur, deren Panik man folgt, wenn die Großmutter eine gruseligen Wahrheit offen legt: Es gibt sie. Hexen. Aber sie sehen mitnichten so aus wie in den Märchen (oder Kinderbuch-Klassikern wie „Der Zauberer von Oz“). Vielmehr sind sie Meisterinnen der Tarnung. Aber, wer Bescheid weiß, kann sie erkennen und sich vor ihrer Fress-Lust schützen. Roahl Dahls legendärer, schwarzhumoriger Erzählton wird hier effektvoll durch eine moderne Bildsprache ersetzt. Figuren und Ereignisse werden in das coole Styling des 21. Jahrhunderts gekleidet und dennoch wirkungsvoll überzeichnet. Die lila Turmhaarfrisur der Großmutter scheint aus Versailles zu stammen, ihre riesigen runden Augengläser aus Hitchcock-Filmen und ihre Hamsterbäckchen aus dem Klappmaulpuppenfundus von Nikolaus Habjan. Sie trägt Altweiberkleidchen mit derselben Chuzpe wie leopardengemusterte Leggins und wird nie verstehen, wieso ihrem achtjährigen Enkel der Zugang zum hoteleigenen Spielcasino verwehrt wird. Hotel? Ach ja: Großmutter und Enkel urlauben. Werden jedoch von schaurigen Ereignissen behelligt, die Pénélope Bagieu in geordneter Panel-Struktur präsentiert, die immer wieder von frei gestellten Einzelzeichnungen durchbrochen wird. Der Enkel gerät mitten hinein in einen Hexenkonvent, zu dessen Inhalt die ultimative Vernichtung jener lästigen Plage wird, die sich Kinder nennt. In schwarzem Etuikleid, hochhackigen Schuhen und umflort von dunkelblauem schulterlangen Haar animiert die Hoch- und Großmeisterhexe dazu, die Lautstärke des in Sprechblasen oder vor lauter Enthusiasmus gleich ins Panel gesetzten Textes ordentlich hinaufzudrehen. ZERMALMT!! ZERQUETSCHT!!! gehören sie, diese alles verstinkenden Wesen. Und schon verwandelt sich das klimperwimpernumrahmte Antlitz der Mondänen in eine violette Horrorfratze. Golem hätte daran gleichermaßen seine Freude wie der Zahnarzt der Zombies. Und schon ist es passiert: Die beiden mitten hineingeratenen Kinder (die im Sinne der Diversität eine neue Hautfarbe und ein neues Geschlecht bekommen), werden in Mäuse verwandelt und arbeiten hart daran, sich zuerst der Großmutter bemerkbar zu machen, und dann mit deren Hilfe die Zaubertrankfläschchen aus der Minibar im Zimmer der Hoch- und Großmeisterhexe zu klauen. Ethan Hunt hätte seine Freude daran, denn auch hier wird eine Mission: Impossible zur actionreichen Bild-Inszenierung, in der das Spiel mit den unterschiedlichen Größenverhältnissen der Figuren Eingang in den Rhythmus der Panelübergänge findet, die geschickt mit Konstanten und Varianten der Bildausschnitte spielen. Und letztlich zeigen, dass auch ein Mäuseleben ganz und gar glücklich verlaufen kann. Wer hätte nicht einmal im Tee-Service der Großmutter ein Schaumbad nehmen wollen?
Personen: Dahl, Roald Bagieu, Pénélope Bannenberg, Silv Korth, Olav
Dahl, Roald:
Hexen hexen / Roald Dahl. Pénélope Bagieu. Aus dem Franz. von Silv Bannenberg. Handlettering von Olav Korth. - Berlin : Reprodukt, 2020. - 320 S. : überw. Ill.
ISBN 978-3-95640-225-8 fest geb. : ca. € 24,70
Erzählungen 9-12 Jahre - Signatur: Ju 2 Dahl - Comic