Spielerisch, abgeklärt, anschaulich Michael Scharangs Roman "Komödie des Alterns" Ein alter Linker mit glänzend autoritärer Wortgewalt - Michael Scharang, im nächsten Jahr 70 - probiert im Heute des allmächtigen Kapitalismus noch einmal den Humangehalt der sozialistischen Idee aus. Das hat, politisch gefördert, den Geruch von Rückständigkeit oder gar Undenkbarkeit, ist gleichwohl aber prinzipiell ein humaner, also erfreulicher Einwurf. Scharang erzählt eine Art komödiantisches Märchen von den beiden idealistischen Intellektuellen Heinrich Freudensprung aus dem Kapfenberger Arbeitermilieu und Sarani Zacharias aus dem ägyptischen Aristokratenmilieu. Die beiden pflegten jahrzehntelang eine intensive Freundschaft in Briefen, Taten und Ideologie. Das führte zur Gründung einer sozialistischen Musterfarm in der Wüste Ägyptens ("eine Änderung der Welt zum Besseren beginne mit der Änderung der Wirtschaft, nicht mit einer Änderung der Politik"), in der die Arbeiter Miteigentümer sind und in der für die Humanisierung nicht nur der Arbeits-, sondern auch der Lebensverhältnisse gesorgt wird. Der gemeinsame ideologische Boden der Freunde, auf dem sie in der Jugend felsenfest und im Alter ein wenig wackelig stehen, ist ein strikter Atheismus, die Überzeugung von der Relativität der Werte und der Humanisierbarkeit des Menschen durch gesellschaftliche Verhältnisse. Die Zumutung, dass es einen Gott geben soll, so Heinrich/Sarani/(Scharang), sei unter allen Zumutungen im Leben die unverfrorenste; "die Welt sei ein Paradies, aus dem, anders als die von Menschenhaß triefenden Religionen behaupteten, der Mensch nie vertrieben worden sei"; die Kirchen seien geistige Schimmelpilze mit der Neigung, den ganzen Käse zu verderben; der Reichtum der Ersten Welt sei durch Beraubung der Dritten entstanden; und "das Bürgertum sei eine Übergangserscheinung, die nur existiere, damit es in der Geschichte auch ein Beispiel dafür gebe, wie die Welt von Gangstern an den Rand des Untergangs getrieben werde". Scharang-Sound; der trifft die Dinge nicht in ihrer Vielfalt, aber vielfach in ihrem Kern; friedliebend ist er nicht, aber wohltuend scharf im Vergleich zum vorherrschenden politischen Sprachbrei. Inzwischen sind die beiden Freunde 60 Jahre alt und einander spinnefeind. Paranoide Fehlinterpretationen des anderen, Altersstarrsinn und Selbstzerstörungswut haben die beiden bis nahe an den körperlichen Ruin getrieben, aber ungeachtet dessen immer weiter auch in Vernichtungsfantasien für den Gegner; hochkultivierte Esel; aber bekanntlich ist Gescheitheit kein Schutz gegen Blödheit. Nun treffen sie einander wieder, nach Jahren der Funkstille, am Flughafen von Kairo, abgewrackt beide aus Kränkung und Wut, zum Showdown ihrer großen Abrechnung. Der Zusammenprall der Feinde: Ein Lächeln aus Hilflosigkeit, aus Verlegenheit lächelt der andere zurück. Sarani schreitet zur Umarmung, Heinrich erwidert, "keiner der beiden wagte, sich als erster aus der Umarmung zu lösen". Die Aggressionen schrumpfen vor der Macht des Wiedersehens; mit Wiedersehensfreude hat keiner der beiden gerechnet. Dann wanken sie, zwei Skelette, in die VIP-Lounge essen; sie tafeln, sie trinken, sie rauchen Zigarillos; aus Narrheit fast zu Tode gehungert, erleben sie an der Nahrungsaufnahme die körperliche Wiederkehr des Lebens und die geistige Schwächung ihrer Narrheit, "auch wenn der Kompagnon ihres Körpers, das Bewußtsein, gefangen in der Tragödie der verratenen Freundschaft, sich noch ziere". Dem Autor entkommt ein kleines Lächeln über die stolzen Kategorien von Wahrheit und Richtigkeit, Wahrheiten sind Launen, die beiden Alten haben jetzt einfach keine Lust, über die Konflikte zu reden. Eine hübsche, diesseitige Philosophie: Konfliktlösung durch Essen und Trinken; den Geist sollte man nicht alleine lassen. Später, in Saranis schönem Wüstenhaus (eben noch als Schauplatz für seinen Selbstmord vorgesehen) werden sich beim Versuch der beiden, doch noch Gericht zu halten über einander, die Konflikte außerdem als Missverständnisse herausstellen. Die Kämpfer haben den Griff gelockert und dabei bemerkt, dass sie gar nicht viel in der Hand hatten. Menschlichkeit kommt zu ihrem Recht oft erst, wenn sie zu kraftlos ist für Ideologie. Die beiden Alten werden gegen ihre ursprünglichen Pläne also noch ein Weilchen weiterleben, Sarani wird eine Stelle als Universitätsprofessor in Zürich annehmen, Heinrich zunächst im Wüstenhaus bleiben, um die vorliegende Geschichte niederzuschreiben. Das befestigt den Eindruck, dass das Spiel viel Autobiografisches enthält, eigene Gescheitheiten und Narrheiten. Darin geht Scharang, in seinen Büchern üblicherweise politisch-ideologischer Scharfschütze, ziemlich weit: "Es sei den Freunden auch der düstere Gedanke nicht fremd gewesen, daß, was immer sie tatsächlich unternahmen, vielleicht nur ein Ersatz für Revolution war. (…) Die Welt entziehe sich der vorschnellen Attacke wie der einverständlichen Umarmung. " Es gibt sogar Zweifel am ideologischen Erfolg der ökonomisch äußerst erfolgreichen Wüstenfarm: Als Miteigentümer hätten die Arbeiter die Mentalität von Privateigentümern angenommen, "Gier nach Eigentum, im Verbund mit Angst vor Lebenslust". Heinrich und Sarani gestehen einander ihre Niederlagen, der gestrenge Scharang relativiert, besser: vermenschlicht seine Standpunkte (ohne sie einfach fallen zu lassen). Mit leichter Hand und distanzierter Sprache (viel Konjunktiv) hat Scharang ein Spiel inszeniert, dessen Ironie die eigene Verwicklung ins Spiel nicht leugnet. Kleine Unwahrscheinlichkeiten darin sind kein Grund, sie nicht zu erzählen. Spielcharakter und Abgeklärtheit erlauben so etwas, zumal Konkretheit, Sachkenntnis und Anschaulichkeit den Roman erzählerisch auf der Höhe halten. Einsicht in eine gewisse Vergeblichkeit von Ideologien macht den Autor eher milde als depressiv oder aggressiv. Und im Alter kann man sich auch ein Happyend leisten. Ich meine: Scharangs bester Roman.
Personen: Scharang, Michael
Standort: U Bücher
Scharang, Michael:
Komödie des Alterns / Michael Scharang. - Berlin : Suhrkamp, 2010. - 251 S.
ISBN 978-3-518-42135-2 Festeinband : ca. EUR 19,80
Belletristik, Filme, Hörbücher - Signatur: U Scharan - Buch