„Sick Lit“ – diese leicht zynische Genre-Bezeichnung, die an den nicht minder mokanten Begriff „Chick Lit“ angelehnt ist, gibt es bereits seit 2005, ihren zweifelhaften Durchbruch erlebte sie indessen 2013 in einer Polemik der britischen „Daily Mail“. Kinder- und Jugendbücher, in denen lebensbedrohliche Krankheiten thematisiert werden, seien nichts für junge LeserInnen, ja sie gefährdeten diese sogar. Man mag von dieser Ansicht halten, was man will, Fakt ist, dass eben diese „Sick Lit“ einige der besten und anrührendsten Bücher der internationalen Jugendliteratur hervorgebracht hat. Allerdings, so bemerkt Tilman Spreckelsen in einem nuancierten Artikel aus dem Jahr 2014 zu Recht, würden in nicht wenigen einschlägigen Geschichten die körperlichen Leiden, die mit den thematisierten Krankheiten einhergehen, weitgehend ausgespart. In jüngster Zeit sind nun zwei Jugendbücher erschienen, die diesen Aspekt ganz entschieden miteinbeziehen. Gewiss, es tut weh, wenn man in „Krebsmeisterschaft für Anfänger“ en detail von den Leiden und medizinischen Behandlungen des 15-jährigen Max liest, von Schmerzen und Gerüchen und dem Gefühl, vorübergehend das eigene Menschsein verloren zu haben: „Die Schwester drückte mir eine weiße Schale in die Hand – und dann kam es heraus. Orangefarbene Pommeskotze, Hamburgerreste, Magensäfte und Galle. Und ich zitterte so, dass ich die Schale nicht gerade halten konnte. Das hieß: alles über meine Trainingshose.“ Edward van de Vendel hat dieses Buch geschrieben, zusammen mit Roy Looman, auf dessen Erfahrungen die Geschichte basiert. Während sich diese ganz auf die seelischen und körperlichen Empfindungen des Protagonisten konzentriert, nimmt Anne Percins Roman „Meine Mutter, der Krebs und ich“ die Perspektive einer Angehörigen ein. Erzählt wird aus der Sicht eines vierzehnjährigen Mädchens, dessen Mutter an Brustkrebs leidet, und auch hier werden Passagen konsequenter Körperlichkeit zugelassen, ebenso erzählte Momente von müder Trostlosigkeit, die der stete Wechsel von Hoffnung und lebensbedrohlicher Enttäuschung in einem kranken Menschen auslöst. Und so unterschiedlich beide Bücher sprachlich und perspektivisch sein mögen, weisen sie trotzdem – neben dem erwähnten Mut, die Krankheit GANZ zu erzählen – einige Gemeinsamkeiten auf. So werden in beiden Büchern innige Familienverbindungen gestaltet, wobei jene in Anne Percins Roman aus einer vormals komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung erwächst. Beide Geschichten kommen ohne Pathos aus und zeigen Menschen, die sich umeinander kümmern – auf berührende, oftmals humorvolle Weise. Und was beide Bücher so besonders und lesenswert macht, das ist vor allem auch die Erkenntnis der jeweiligen Protagonisten, viel mehr tragen zu können, als sie gedacht hätten – und viel mehr zu sein. Siehe weiters: Edward van de Vendel: Krebsmeisterschaft für Anfänger
Personen: Percin, Anne
Percin, Anne:
Meine Mutter der Krebs und ich / Anne Percin. Aus dem Franz. von Anja Kootz. - München : Knesebeck, 2016. - 143 S.
Einheitssacht.: Ma mère, le crabe et moi
ISBN 978-3-86873-973-2 fest geb. : ca. Eur 13,40
Zugangsnummer: 2018/0014 - Barcode: 2-3111090-5-00141385-4
Erzählungen ab 13 Jahre - Signatur: Ju 3 Perci - Buch