Die Sachbuchreihe „Was ist was?“ dürfte die älteste auf dem deutschsprachigen Kinderbuchmarkt überhaupt sein. Seit 1961 gibt es sie. Sie gehört zu den Standards in Schul- und Gemeindebibliotheken und wurde und wird für unzählige Referate wie auch zum Freizeitvergnügen gelesen. Auch fremdsprachliche Lizenzen gibt es in großer Menge. „Was ist was?“ ist eine Institution. Der Aufbau war unverkennbar: 48 Seiten, das Thema in einzelne Blöcke untergliedert, die jeweils durch Fragen eingeleitet wurden. Farbillustrationen waren deutlich häufiger als Fotografien. Im Laufe der Zeit wurden die Bände von bekannten Wissenschaftlern geschrieben wie z. B. Heinz Haber, der Bände über astrophysikalische Themen verantwortete. „Was ist was?“ bediente einen riesigen Wissenshunger. Wir sprechen hier von einer Zeit, als Schulbücher noch wirklich schrecklich staubig aussahen und als die „Was ist was?“-Gestaltung revolutionär war; als Bio-Lehrer Dinosaurier in ein paar Minuten abhandelten und man sich das erstrebenswerte Wissen woanders holen musste. Heute empfinden viele die „Was ist was?“-Bücher als altmodisch, textlastig; das nüchterne Weiß der Buchrücken zieht die Blicke nicht ins Regal und löst schon gar keinen „Haben-Wollen“-Reflex in der Buchhandlung aus. Zu groß ist die Konkurrenz geworden, die ebenfalls meist mit Reihen arbeitet und so den Sammeltrieb anfacht. Und wer einmal mit einer Reihe anfängt, wechselt eher nicht zu einer anderen. Im vorigen Herbst fand ein Relaunch der Reihe „Was ist was?“ statt, begleitet von freundlichem Medieninteresse (für Interessierte sei der Artikel von Andreas Sentker in der ZEIT vom 20.11.2013 empfohlen). Tatsächlich sind die neuen Bände optisch weit attraktiver. Gleichzeitig sehen sie nach dem Relaunch aber auch deutlich verwechselbarer aus. Imposante Fotos und themengebundene Farbkodierung findet man inzwischen in allen Kindersachbüchern, zumal in den Bereichen Natur, Tiere, Geologie, Astronomie. Natürlich – das Bildmaterial ist über die letzten 50 Jahre deutlich besser geworden, der Druck billiger. Interessant ist der Unterschied zwischen den alten und den neuen Bände. Die Wale und Delfine gehören zu den Bänden, die in alter und neuer Version vorliegen. Der alte Band stammt aus den späten 1980ern, als Wale ein sehr beliebtes Umweltschutzthema waren. Autorin war die sachbucherfahrene Meeresbiologin Petra Deimer. Autor des neuen Bandes ist Dr. Manfred Baur. Das Buch ist meeresmäßig blau gehalten und trägt den Untertitel „Die sanften Riesen“. Dieser emotional gefärbte Untertitel zeigt den deutlichsten Unterschied zwischen den alten und den neuen Bänden auf: Die Sprache ist insgesamt weit stärker emotionalisiert. Viel „super“, viel direkte Anrede, vom Charakter eher journalistisch als klassisch-sachlich. Das Buch wird abgeschlossen von zwei fiktiven Interviews, eines mit einem Orca, eines mit einem Blauwal. Diese Interviews schwanken zwischen witzig und albern; überhaupt scheinen erfundene Interviews ein Trend, den man zu Zeit in vielen Sachbüchern findet. Einiges wurde auch aus dem alten Band übernommen. Skelettskizzen, der abtauchende Pottwal und die Buckelwale beim Liebesspiel waren auch 1989 schon zu haben. Die gezeichnete Walgeburt aus dem alten Band war allerdings klarer als die Fotos im neuen. Das gilt auch für die Darstellung der unterschiedlichen Fluken (Schwanzflossen), an denen man die Wale erkennen kann. Die Zeichnungen im alten Band sind eindeutig; die Fotos im neuen Band sind aus verschiedenen Perspektiven gemacht, was für einen Vergleich leider ungünstig ist. Viel besser gelungen ist im neuen Band allerdings der Stammbaum der Wale, inklusive der im alten Band nicht im Bild auftauchenden vierbeinigen Vorfahren. Auch die Darstellung der Filterung der Nahrung durch die Barten ist ausgezeichnet. Im alten Band fehlt sie völlig. Das Kapitel über den Walfang ist knapper gehalten; das Walprodukt Ambra wird nicht einmal mehr erwähnt. Hier geht das Buch mit der Zeit: für alles, was vom Wal stammt, gibt es längst Ersatzstoffe. Neben den neu geschriebenen/neu bearbeiteten Bänden zu alten Themen gibt es mittlerweile auch neue. etwa einen über Mode oder die Tiefsee. Es bleibt abzuwarten, ob sich die neuen Bände bei der Leserschaft ebenso stark durchsetzen wie die alten bei den Eltern der heutigen Leser. Schön wäre es, denn ganz offensichtlich ist Gewissenhaftigkeit wieder Programm. Und ohne den Pottwal oder den Blobfisch aus der Tiefsee wäre unser Leben doch weit ärmer.
Serie / Reihe: Was ist Was 85
Personen: Baur, Manfred
Standort: Donatusplatz
Leseror. Aufstellung: Kinder Was ist Was?
Baur, Manfred:
Wale und Delfine : die sanften Riesen / Manfred Baur. - Nürnberg : Tessloff, 2013. - 48 S. : zahlr. Ill. - (Was ist Was; 85)
ISBN 978-3-7886-2034-9
Kindersachbücher: Naturkunde - Signatur: Kinder Was ist Was? - Buch