Knausgård, Karl Ove
alles hat seine zeit Roman
Bücher

Eine epische Nacherzählung von Bibeltexten aus dem Alten Testament und zugleich eine sachliche Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens.


Rezension

Will man versuchen, diesen in Norwegen bereits 2004 preisgekrönten Roman zu beschreiben, fehlen die Begriffe. Was ist dieser Roman? Eine journalistisch-essayistische Diskussion über Art und Wesen der Engel? Dramatisch interpretierende Nacherzählungen der wichtigsten Bibelstellen? Oder einfach nur ein Fortsetzungsroman über Henrik Vankel, der Hauptperson von Knausgårds erstem Buch, „Ute av verden“ (1998)? Es ist nicht zuletzt diese Unbestimmbarkeit, die das Buch zu etwas spürbar Besonderem macht und den Leser bis zum Schluss in einer Art Unsicherheit belässt, und die Lektüre ist bei aller Faszination keineswegs einfach.
Die ungewöhnliche Mischung eigentlich unvereinbarer Elemente spiegelt sich auch in der Sprache Knausgårds wieder. Sachlich-nüchterne Passagen, die sich wie eine wissenschaftliche Abhandlung lesen, fügen sich sprunghaft und übergangslos zu Abschnitten, die den Leser mit ihren philosophisch-theologischen Spekulationen fesseln, und verbinden sich mit Partien voller Fabulierfreude in einem altmodisch bildhaft und umständlichen Stil barocken Ausmaßes, niemals in gerade Linien, sondern in Windungen, Wiederholungen und Umwegen, die letztlich doch immer wieder zum Ziel „Engel“ führen.
In erster Linie könnte man den Roman als einen Bericht über die Zeit der Engel bezeichnen, der sich zugleich mit den fundamentalen Fragen der Menschheit befasst: Wie haben sich das Bild und das Verständnis (nicht nur der Engel) im Lauf der Jahrtausende geändert, bis diese Wesen schließlich nach dem Barock mehr und mehr aus dem Gesichtsfeld der Menschen verschwanden? Große Teile darf der Autor beim Leser als bekannt voraussetzen, die alten Bibelgeschichten etwa von Lot und von Noah, von Kain und von Abel, und durchweg versucht er, sich in diese Menschen in ihrer Zeit hineinzuversetzen, ihr Tun und Denken zu offenbaren und immer wieder mit seinen eigenen ideen- und bibelhistorischen Kenntnissen und Gedanken zu vermischen. Trotz der stark historischen Sicht gibt Knausgård nie den Bezug zur Gegenwart auf, sucht nach heutigen und neuen Blickwinkeln für die Vergangenheit, versucht im Grunde, die Frage nach Menschen und ihrem Verhältnis zu Gott neu zu stellen und zu beantworten. Kritisch hinterfragt er das religiöse und wissenschaftliche Weltbild der Menschen aus der Zeit nach dem 17. Jahrhundert, spart auch nicht die Konflikte und Kollisionen zwischen Wissenschaft und Religion aus, um immer wieder zu der dem Roman zugrunde liegenden Frage nach der Ursache für den modernen Sinnverlust – durch das Verschwinden der Engel aus unserem Leben bildhaft gemacht – zurückzukehren.
„Naiv und gutgläubig bin ich ans Werk gegangen, um das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen zu untersuchen, zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen. Die Engel sind der Schnittpunkt dieser beiden Größen“, äußerte der Autor in einem Interview. Was bei seiner Untersuchung herauskommt, ist eine völlige (positive) Verwirrung des Lesers, der am Ende zumindest erkennen muss, dass unsere Welt keine feste gegebene Größe ist, sondern ein angenommenes Bild. Unsere Welt sah anders aus im 17. Jahrhundert, als sie es heute tut und in 500 Jahren tun wird. Dies macht den Weg frei für Gedanken über den Begriff der Zeit wie auch über den Begriff einer absoluten Wahrheit und Manipulierbarkeit.

„alles hat seine zeit“ ist ein Buch, das man entweder sehr schnell aus der Hand legt oder in dem man sich fest liest und das einen noch lange nicht verlassen hat, wenn man es zu Ende gelesen hat. Die Lektüre wird eine ganze Zeit dauern, denn mag man es auch gebannt verschlingen, so fordert der Tiefgang der Gedanken und der Anspruch des Autors an se

Rezensent: Astrid van Nahl


Personen: Knausgård, Karl Ove Berf, Paul

Schlagwörter: Bibel Engel Weltbild

Knausgård, Karl Ove:
alles hat seine zeit : Roman / Karl Ove Knausgard. Dt. von Paul Berf. - 1. Aufl. - München : Luchterhand, 2007. - 637 S. ; 21 cm. -
ISBN 978-3-630-87264-3

Zugangsnummer: 21891
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher